Rund sechzig Personen nahmen in Begleitung einer Samba-Band am Mittwochabend an einer Protestkundgebung vor dem Eingang des Dresdner Weihnachts-Circus teil. Unter dem Motto: „Für einen Zirkus ohne Tiere“ wurde auf Missstände des Dresdner Weihnachts-Circus, aber auch allgemein auf das Verhältnis zwischen Menschen und Tieren hingewiesen. In mehreren Redebeiträgen wurden die Bedürfnisse der eingesperrten Tiere angesprochen und Folgeerkankungen wie schwere Verhaltensstörungen, ständiges im-Kreis-drehen, Apathie und frühzeitiges Ableben thematisiert. Mit Start des Circus Programms wurde die Kundgebung beendet.
Der Cirus Direktor selbst sprach angesichts der Proteste von „Krakelen“ und sieht keine Misstände. Entgegen der Behauptungen des Circus geht es in der Manege nach Ansicht der protestierenden Menschen jedoch nicht um das Wohl der Tiere, sondern um Gewinne, Werbung und ein kurzweiliges Vergnügen. Sie führen an, dass im Vergleich zum Vorjahr entgegen dem allgemeinen Trend sogar wieder Wildtiere im Dresdner Weihnachts-Cirkus auftreten. Auch die Größe der Schaustellerfläche wurde kritisiert. Auf dem Parkplatz an der Pieschener Allee drängen sich 24 Pferde, sieben Tiger, sechs Löwen und sechs Kühe, sowie drei Seelöwen, ein Jack Russell Terrier und zwei Rhodesian Ridgeback. Für die Tiger und Löwen stehen ungefähr 360 m2 zur Verfügung, was einer Fläche von 27 m2 pro Tier entspricht. Geht es jedoch nach den Demonstrierenden, würde es gar nicht soweit kommen, dass Tiere eingesperrt werden müssten.
In anderen Ländern wie Österreich, Griechenland und Bolivien sind Tiere und Wildtiere bereits in Zirkussen verboten. In Deutschland existieren entsprechende Regelungen bisher nur auf kommunaler Ebene. So kann eine Kommune beispielsweise entscheiden, kein Land mehr an Zirkusse mit Tieren zu verpachten. Zum Ende der Kundgebung wurde noch auf ein, aus Sicht der Demonstrierenden, positives Zirkus-Vorbild hingewiesen. Der Cirkus Roncalli hat bereits 2018 entschieden, keine Tiere mehr in der Manege zu zeigen. Ebenfalls gibt es seitdem keine tierischen Produkte mehr im Catering-Angebot.
Am vergangenen Samstag demonstrierten Exil-Iranerinnen und Iraner gemeinsam mit solidarischen Menschen in Dresden. Anlass für die Demonstration waren die seit Mitte November anhaltenden Proteste tausender Menschen in ihrem Herkunftsland, die damit gegen eine Erhöhung der Benzinpreise und eine Rationierung der Kraftstoffe zu protestieren. Nachdem zwischenzeitlich auch das Internet durch die islamistischen Machthaber in Teheran gekappt wurde, dringen mittlerweile wieder Informationen nach Außen. Nach Angaben der Menschenrechtsorganisation Amnesty International sind bei den landesweiten Protesten mehr als 100 Menschen ums Leben gekommen, mehr als eintausend Menschen wurden nach unbestätigten Angaben bislang festgenommen. Während Firmen wie Siemens schon seit etlichen Jahren wegen ihrer Geschäfte mit dem iranischen Regime in der Kritik stehen, zeigte sich die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer besorgt über die Entwicklungen und rief die Regierung zum Dialog auf.
Aus diesen Gründen fanden sich am Samstagnachmittag mehrere dutzend Menschen vor dem Dresdner Hauptbahnhof ein. Einige Teilnehmerinnen und Teilnehmer hatten sich die iranischen Nationalfarben auf die Wangen gemalt oder trugen Transparente mit Aufschriften wie „Ich bin Atheist“ bei sich. Zu Beginn der Veranstaltung wurden mehrere Redebeiträge auf Persisch verlesen. Im Anschluss wurde der auf der Seite des internationalistischen Zentrums Dresden veröffentlichte Aufruf auf Deutsch verlesen. Darin wurden die Umstände der aktuellen Aufstände in der iranischen Republik erläutert. In dem Text heißt es: „Im ganzen Land sind die Menschen seit dem 16. November auf den Straßen, um gegen die dreifache Erhöhung des Benzinpreises und die bereits inflationär gestiegenen Lebenshaltungskosten sowie die Politik des islamischen Regimes zu protestieren.“ Darüber hinaus seien „die Proteste Ausdruck der Empörung über das Fehlen politischer Rechte und die massive Inflation; Korruption und Missmanagement sowie Verschwendung wichtiger Ressourcen.“
Die Demonstration hat sich in Bewegung gesetzt und läuft unter rufen „nieder mit der Diktatur“ über die Petersburgerstraße. Es wird sich mit den #IranProtest solidarisiert. Nächste Station ist der Albertplatz. #FreeIran#Iran#Dresdenpic.twitter.com/2WLuVZGe2C
Nach der Auftaktkundgebung startete die auf knapp einhundert Personen angewachsene Demonstration in Richtung St.-Petersburger-Straße. Über den Dr.-Külz-Ring und am Postplatz vorbei ging es schlussendlich in Richtung Neustadt. Neben Musik, wurde mit Sprüchen und kurzen auf Deutsch und Persisch gehaltenen Beiträgen auf das Anliegen aufmerksam gemacht. Nach rund zwei Stunden erreichte die Demonstration ihren Zielpunkt am Albertplatz. Nachdem Kerzen für die im Rahmen der Proteste getöteten Demonstrantinnen und Demonstranten im Iran niedergelegt wurden, wurde die Veranstaltung für beendet erklärt. Gegenüber addn.me zog ein Teilnehmer ein gemischtes Fazit von der Demonstration: „Es war nicht schlecht. Es könnte aber besser sein. Aber hoffentlich kommen nächstes mal noch mehr Menschen.“ Dennoch kündigte er an, weiter machen zu wollen. „Wir werden weiter schauen, wie sich die Situation im Iran entwickelt und hier unseren Protest danach ausrichten. Bisher hatten wir wenig Erfahrung damit, jetzt haben wir schon ein paar mehr. Wir wollen, dass dieses Regime überwunden wird und werden weiterhin aktiv bleiben“, so der Teilnehmer im Anschluss an die Demonstration.
Seit Anfang Oktober protestieren große Teile der iranischen Bevölkerung im Land. Auslöser dafür waren jedoch nicht nur die gestiegenen Benzinpreise, sondern vor allem eine stetig wachsende Unzufriedenheit mit steigender Inflation und hohen Lebenshaltungskosten. Aus diesem Grund verwundert es kaum, dass sich die Proteste mit dem Ruf nach Presse-, Versammlungs- und Meinungsfreiheit inzwischen zu einem generellen Aufbegehren gegen die iranischen Oberen und deren Revolutionsgarden entwickelt haben. Das Regime unter Ajatollah Ali Chāmeneʾi reagierte auf die Proteste mit aller Härte. Immer wieder wurde berichtet, dass Sicherheitskräfte mit scharfen Waffen auf die Menschen schossen. Anders als Amnesty international, die über mehr als einhundert Tote berichteten, könnte inneriranischen Quellen zufolge die Zahl der Todesopfer jedoch bedeutend höher liegen. Zwischenzeitlich hatte das islamische Regime ähnlich wie in anderen Ländern das Internet fast vollständig gekappt und damit das Land nach Außen hin abgeschottet. Ob, wie iranische Medien berichten, die Proteste mittlerweile zum Erliegen kamen, ist angesichts der wirtschaftlich desolaten Situation für weite Teile der iranischen Gesellschaft fraglich.
Am vergangen Wochenende fanden in Dresden mehrere Klimaproteste statt. Am Freitag begab sich „Fridays for Future“ (FFF) vor die Werkstore von Siemens, um dort gegen die geplante technische Unterstützung des Unternehmens bei der Umsetzung des größten Kohleabbaugebiets der Welt durch den indischen Industriekonzern Adani in Australien zu protestieren. Tags darauf fanden sich Aktivistinnen und Aktivisten von FFF und „Extinction Rebellion“ beim alljährlichen Skiweltcup am Dresdner Elbufer ein, um mit einem großen Banner auf die ökologischen Auswirkungen des Events aufmerksam zu machen. Beide Veranstaltungen verliefen ohne weitere Zwischenfälle. Für kommenden Samstag hat FFF anlässlich des einjährigen Jahrestag ihres Protestes um 13.30 Uhr zu einer Demonstration vor dem Sächsischen Landtagaufgerufen.
Am Freitag den 10.01. trafen sich Aktivistinnen und Aktivsten von FFF nicht wie sonst üblich in der Dresdner Innenstadt, sondern am Elbepark in Mickten. Grund dafür war der bundesweite Aktionstag an 20 Standorten von Siemens. In Dresden betreibt das Unternehmen einen Standort auf der Washingtonstraße. Der Konzern war unlängst in die Kritik geraten, da er mit der Lieferung von Signalanlagen den Ausbau der größten Kohlemine der Welt in Australien unterstützt. Die Umweltaktivistinnen und Aktivisten von FFF warfen dem Konzern eine Doppelmoral vor: „Siemens rühmt sich damit, bis 2030 klimaneutral werden zu wollen und unterstützt im selben Atemzug den Bau einer Kohlemine, deren Betrieb die Einhaltung der Klimaziele quasi unmöglich machen würde.“ Die geplante Adani-Mine soll nach Fertigstellung eines der größten Kohlebergwerke der Welt werden, wodurch nach Informationen von FFF, jährlich zusätzlich 705 Millionen Tonnen CO2 ausgestoßen würden. Rund 130 Personen beteiligten sich an den Protesten vor dem Siemenswerk, bei den ein offener Brief der sächsischen Ortsgruppen übergeben wurde. Gegen 19:30 Uhr beendeten die Veranstalterinnen und Veranstalter die Versammlung.
Auch in Dresden demonstrieren spontan deutlich über 100 laute Menschen, um das Adani Projekt zu verhindern! Es liegt jetzt in der Hand von @SiemensDE und @JoeKaeser bei der Rettung unserer Zukunft zu helfen! #StopAdanipic.twitter.com/viqFe6i7tp
Rund 14 Stunden später versammelten sich erneut Klimaschützerinnen und -schützer in der Dresdner Innenstadt. Dort fand bereits zum dritten Mal der Skiweltcup statt, für dessen Durchführung bereits seit Monaten am Rande von Dresden Kunstschnee produziert wurde. Das Event wird von Freistaat mit 300.000 Euro unterstützt. Von der Augustusbrücke hingen die Aktivistinnen und Aktivisten ein Banner mit der Aufschrift „Unsere Zukunft – Schnee von gestern“, um damit gegen die „Absurdität“ der Veranstaltung zu protestieren. Kritisiert wurde vor allem die Organisation eines Wintersportevents in einer Region, die kaum Schneesicherheit bietet. „Durch die Klimakrise fehlt nicht nur in Dresden immer öfter der Schnee und das Einzige, was den Leuten einfällt, ist Kunstschnee, dessen Produktion die Klimakrise noch weiter anheizt“, äußerte sich der Mitorganisator der Aktion, Paul Simeon Pollenske. Absurd wäre es, so Pollenske weiter, „tonnenweise Kunstschnee zu produzieren und durch die Gegend zu fahren, während gleichzeitig in Australien riesige Flächen brennen“.
Am Freitagnachmittag besetzten mehrere dutzend Personen der Kampagne „Wir besetzen Dresden“ ein Haus in der Königsbrücker Straße. Das erklärte Ziel der Besetzung ist es, das seit geraumer Zeit leerstehende Gebäude in ein soziales Stadtteilzentrum umzufunktionieren. Nach eigenen Angaben stehen die Besetzerinnen und Besetzer dazu im Kontakt mit dem Eigentümer. Nachdem die Polizei vorerst von einer Räumung absah, fanden sich das ganze Wochenende über Unterstützerinnen und Unterstützer vor dem Haus ein. Die Gruppe im Haus kündigte an, so lange im Haus bleiben zu wollen, bis die Nutzung legalisiert wurde.
Als klar war, dass die Polizei an diesem Wochenende keine Räumung mehr vornehmen würde, war die Freude bei den Besetzerinnen und Besetzern groß. Zusammen mit rund 150 Unterstützerinnen und Unterstützern feierten sie am Samstagabend „die ersten 24 Stunden ohne Hausräumung“. Für Dresden, so heißt es in der Stellungnahme, sei das schon ein großer Erfolg, ist doch die Polizei nach der sogenannten „Berliner Linie“ berechtigt, innerhalb der ersten 24 Stunden ohne Einwilligung des Eigentümer selbstständig zu räumen. So fanden die Besetzungen der letzten zehn Jahre bereits frühzeitig ein Ende. Gefeiert wurde der erste Tag der Besetzung mit Musik der Banda Internationale (DD), dem Ensemble Incroyable (DD), den Brazzbanditen (LPZ) sowie einem Feuerwerk.
24 Stunden zuvor waren die Aktivistinnen und Aktivisten in drei seit Jahren leerstehende Gebäude auf der Königsbrücker Straße 12-16 eingezogen, um „das verfallende Gelände als Wohn- und Begegnungsort finanziell und organisatorisch unabhängig zu nutzen“, wie die Besetzerinnen und Besetzer verlauten ließen. Zugleich wurde die in München ansässige „ARGENTA Unternehmensgruppe“ als Besitzer der Häuser, aufgefordert, sich von dem Grundstück zurück zu ziehen und den Besetzerinnen und Besetzern zu überlassen. Diese veröffentlichten zeitgleich zur Besetzung ein Nutzungskonzept für die Häuser, welches inzwischen auch ARGENTA vorliegen soll. Neben einem Wohnhaus sieht das Konzept neben einem Gebäude mit Vereinsräume auch ein Seminarhaus vor. Auch für das ungenutzte Außengelände soll es eine Vielzahl von Ideen geben.
Neben der konkreten Besetzung und den Nutzungsideen für das Gelände auf der Königsbrücker Straße 12-16 wollen die Besetzerinnen und Besetzer mit ihrer Aktion vor allem auf die Mietproblematik in großen Städten hinweisen. „Die Wohnungslage in Dresden und in anderen Städten wird durch ihre Profitinteressen bestimmt und nicht durch die Frage danach, wie eine gerechtere Stadt organisiert sein könnte, in der alle Menschen ein gutes Leben führen können“, so die Aktivistinnen und Aktivisten. Weiter führen sie aus, dass vor allem Menschen, die nicht in „besitzende, finanziell abgesicherte, akademische Familienverhältnisse hineingeboren wurden“, aus ihren Sozialräumen verdrängt und mit immer weiter steigenden Mieten ausgebeutet würden.
Auch von Parteiseite erhält die Kampagne „wir besetzen“ Unterstützung. Besonders die „Neustadtpiraten“ machen sich indes für die Forderungen stark. Bereits am vergangenen Montag war im Stadtbezirksbeirat Neustadt über das Gelände diskutiert worden. In einem Antrag hatten da die Piraten eine sozialverträgliche Bebauung, eine Durchwegung, Parks mit Großgrün und den Erhalt der Villen gefordert. In einzelnen Punkten wurde dem Antrag stattgegeben. Der Piraten-Stadtbezirksbeirat Jan Kossick forderte eine Einbindung aller in die Gestaltung des Geländes. In diesem Zusammenhang sieht er mit der Besetzung eine große Chance: „Die Gruppe ‚Wir besetzen Dresden‘ macht dies deutlich. Deren Forderungen – unter anderem nach öffentlicher Zugänglichkeit, gegen Luxuswohnungen und für Bürgerbeteiligung.“
Ob die Forderungen und Pläne der Besetzerinnen und Besetzer eine realistische Chance haben werden, wird sich in den nächsten Tagen herausstellen. Ein breites Echo ist ihnen zumindest sicher. Dies dürfte nicht zuletzt an der kontinuierlichen Arbeit liegen, die „Wir besetzen Dresden“ im letzten Jahr auch über die Stadtgrenzen hinaus einigermaßen Bekanntheit eingebracht haben dürfte. So war die Besetzung der Königsbrücker Straße nicht die erste Aktion. Das Gebäude machte schon zur letztjährigen BRN den Auftakt für eine ganze Reihe Besetzungen im letzten Jahr. Nachdem die bisher größte Besetzung des Basteiplatz 3 im Anschluss an die unteilbar-Demo im August von einem martialischen Polizeiaufgebot geräumt wurde, begaben sich die Aktivistinnen und Aktivisten im November erneut zum Ort des Geschehens. Dort demonstrierten sie mit rund 60 Personen unter dem Motto „Lerchstand zu Freiräumen“ zusammen mit anderen Initiativen wie das „Mietenwahnsinnstoppen Bündnis“ gegen Leerstand und überteuerte Mieten.
Am Samstag trafen sich mehrere Aktivistinnen und Aktivisten, um sich mit der in Oberhausen lebenden Zozan G. zu solidarisieren. Mit einem gemeinsamen Foto wollten sie auf das Schicksal der fünffachen Mutter aufmerksam machen, der auf Grund ihres Engagements in der kurdischen Befreiungsbewegung das Sorgerecht für ihre Kinder entzogen werden soll. Nach einer ersten Verhandlung im November entscheidet am 22. Januar das Amtsgericht ein weiteres Mal über den Sachverhalt. Die Aktivistinnen und Aktivisten sehen Parallelen zur staatlichen Repression und Bespitzelung gegen Menschen in der ehemaligen DDR.
„Hände weg von Zozan und ihren Kindern“ und „Wir alle sind Zozan“ war auf den Bannern zu lesen, mit denen am Samstag vor der Dresdner Altstadtkulisse auf das Schicksal von Zozan G. aufmerksam gemacht wurde. Hintergrund der Aktion ist der drohende Sorgerechtsentzug der fünffachen Mutter aus Oberhausen. Die Aktivistinnen und Aktivisten sehen Zozans politische Aktivitäten in der kurdischen Befreiungsbewegung als Anlass für den Entzug des Sorgerechts. So war sie immer wieder Rednerin auf Kundgebungen gegen die Angriffe auf die kurdischen Autonomiegebiete. Auch ihre Tochter ist regelmäßig Teilnehmerin an legalen Kundgebungen. Dies soll der Verfassungsschutz zum Anlass genommen haben, eine Akte über die Familie anzulegen, sowie das Jugendamt einzuschalten, welches der Familie einen Besuch abstattete und die Kinder verhörte. Nach Informationen der Aktivistinnen und Aktivisten, sollen die Kinder dabei immer wieder betont haben, sich freiwillig politisch zu betätigen.
Solidaritätsbild vor dem Besetzten Haus in der Dresdner Neustadt
„Der Fall Zozan G. Ist ein weiterer Versuch, politische aktive Kurd*innen in Deutschland mundtot zu machen und zu kriminalisieren“, äußerten sich die Aktivistinnen und Aktivisten aus Dresden im Vorfeld auf ANF-News. Weiter führten sie aus, „dass der deutsche Staat im Fall Zozan G. so weit geht, das Sorgerecht entziehen zu wollen, ist eine erschreckende Praxis“. Der Fall erinnere stark an das Vorgehen von DDR-Repressionsorganen gegen Dissidentinnen und Dissidenten. Neben Menschen aus Dresden beteiligten sich auch Aktivistinnen und Aktivisten aus Görlitz mit einem Foto an den Solidaritätsaktionen, die unter den Hashtag #WirSindAlleZozan veröffentlicht wurden. Wie das Verfahren am kommenden Mittwoch ausgehen wird, ist aktuell unklar. Anders als das Jugendamt, welches keinen Handlungsbedarf mehr zu sehen scheint, erhielt die anwaltliche Vertretung von Zozan bislang keine Akteneinsicht.
Am Samstagnachmittag sind in Dresden drei Personen aus der Abschiebehaftanstalt in der Hamburger Straße geflohen. Das musste das Lagezentrum der Dresdner Polizei auf Nachfrage der Sächsischen Zeitung bestätigen. Die drei Männer im Alter zwischen 20 und 29 Jahren, welche erst vor wenige Wochen in Haft genommen wurden, nutzten nach Aussage von Walter Bürkel, dem Vizepräsident der Landesdirektion, einen Hofgang und bauliche Mängel aus und konnten trotz der Anwesenheit von Sicherheitspersonal und Kameras mit unbekanntem Ziel entkommen. Während zwei der Männer bereits zu Jahresbeginn aus unterschiedlichen Gründen in Haft kamen, um später abgeschoben zu werden, war einer der Insassen erst in der vergangenen Woche in Gewahrsam genommen worden.
Auch die Abschiebehaftkontaktgruppe meldete sich zum Vorfall zu Wort. Nach ihrem Kenntnisstand soll einer der Betroffenen in den kommenden Wochen Vater werden und lebte bis zu seiner Ingewahrsamnahme bei der Kindsmutter. „Ihre gemeinsame Zukunft hatten sie bereits entworfen. Die gemeinsame Wohnung ist schon angemietet. Herr H. gehörte ganz selbstverständlich zur Familie von Frau S.“, äußerte sich Toni Kreische von der Abschiebehaftkontaktgruppe. Auch die Familie der Frau soll das Paar bisher in allen Lagen unterstützt haben. Besonders kritisiert die Gruppe, dass das Amtsgericht Dresden sich die familiäre Situation des Tunesiers zwar anhörte, aber im Haftbeschluss mit keinem Wort erwähnte.
Insgesamt wurden seit Dezember 2018 mehr als 150 Menschen in Abschiebgewahrsam genommen; die tägliche Maximalbelegung liegt derzeit bei rund 12 Personen. Nach Einschätzung der Landesdirektion geht von den drei am Samstag geflohenen Männern keine Gefahr aus. Anders als es medial häufig versucht wird darzustellen, haben die meisten der inhaftierten Menschen zuvor keine Straftaten begangen. Vielmehr reicht eine Annahme von Behörden aus, dass sich diese Menschen einer Abschiebung entziehen könnten, um bis zu sechs und in Ausnahmefällen bis zu 12 Monaten inhaftiert zu werden. Der geglückte Ausbruch vom zurückliegenden Wochenende war zugleich auch der erste in der noch jungen Geschichte der im Dezember 2018 für knapp 12 Millionen Euro neu errichteten Abschiebungshaftanstalt.
Bereits am Mittwoch räumte die Polizei Sachsen mit 200 Einsatzkräften die vier Tage zuvor besetzten Villen auf der Königsbrücker Straße 12-16. Da sich mehrere Besetzerinnen und Besetzer auf den Dächern der seit mehreren Jahren ungenutzt leerstehenden Gebäude zurückgezogen hatten, musste das SEK Amtshilfe leisten. Den ganzen Tag über fanden sich mehrere hundert Personen vor dem Haus ein, um ihre Solidarität mit der Gruppe „Wir besetzen Dresden“ auszudrücken. Dabei kam es immer wieder zu kleineren Rangeleien mit der Polizei. Nach Beendigung des mehrstündigen Polizeieinsatzes, zogen mehrere hundert Personen unangemeldet durch die Dresdner Neustadt. Im Laufe des Tages kam es nach Polizeiangaben zu insgesamt sechs Ingewahrsamnahmen.
Noch am Vorabend der Räumung hatten die Besetzerinnen und Besetzer „100 Stunden Besetzung“ der seit über 20 Jahren leerstehenden Villen auf der Königsbrücker Straße gefeiert, als am Morgen des 22. Januar den Träumen für die Schaffung eines Freiraums ein jähes Ende bereitet wurde. Mit rund 200 Einsatzkräfte begann die Polizei Sachsen gegen 8:30 Uhr mit der Räumung, nachdem die Argenta Unternehmensgruppe als Eigentümer am Montag Strafanzeige gestellt hatte. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich nach Angaben der Polizei Sachsen zwölf Personen auf dem Gelände, acht Personen auf den Dächern der Gebäude, sowie eine Person auf einem Baum des Grundstücks.
Auf Grund des zugemauerten Erdgeschosses, sowie den Menschen auf den Dächern forderte die Polizei Amtshilfe bei der Feuerwehr Dresden an. Diese erreichte auch das Gelände, verweigerte aber nach Informationen der Gruppe „Wir besetzen Dresden“ die Hilfe, da nach Auffassung der Feuerwehr keine „Gefahr für Leib und Leben“ bestanden haben soll. Schlussendlich wurden die Besetzerinnen und Besetzer mit dem hinzugezogenen SEK von den Dächern geholt. Um 16:30 Uhr erklärte die Polizei den Einsatz für beendet. Sechs Personen verweigerten die Personalienfeststellung und wurden in das Polizeirevier Mitte gebracht. Zwei weitere Personen wurden noch vor Ort wieder freigelassen. Allen Betroffenen wird Hausfriedensbruch vorgeworfen.
In einer noch am Abend der Räumung veröffentlichten Pressemitteilung kritisierten die Besetzerinnen und Besetzer den Polizeieinsatz. Ihrer Meinung nach, hätte die Einsatzleitung ihrer Ankündigung, „nicht mit Kanonen auf Spatzen“ schießen zu wollen, nicht gehalten. „Nun haben sie das SEK benutzt, um eine friedliche Besetzung zu räumen, mehrere Menschen verletzt und die Arbeit der Presse und von Anwält*innen massiv behindert.“ ließ die Gruppe „Wir besetzen Dresden“ dazu im Nachgang verlauten.
Auch AfD Stadtrat Heiko Müller (Links), Pegida-Chef Wolfgang Taufkirch und weitere rechte beobachteten die Räumung Quelle: https://news-photo.de/2020/01/25/putzi-wurde-geraeumt/
Bereits ab Mittwochmorgen hatten sich Sympathisantinnen und Sympathisanten vor dem Gelände eingefunden, um gegen die Räumung zu protestieren. Nach kleineren Rangeleien mit der Polizei, die trotz Vollsperrung der Königsbrücker Straße den Protest auf den gegenüberliegenden Bordstein drängen wollten, wurde vom Stadtratsmitglied Christopher Colditz (Die Linke) ein Kundgebung angemeldet. Eine Aktivistin, die den Tag über vor Ort war, schätzte gegenüber addn.me, dass sich im Laufe des Tages mehrere hundert Personen an den Protesten beteiligten und ihre Solidarität ausdrückten.
Nachdem der Großteil der Räumung ruhig verlief, kam es zu einer kleineren Eskalation, als Aktivistinnen und Aktivisten versuchtenm die Abfahrt der durch die Polizei in Gewahrsam genommenen Besetzerinnen und Besetzer zu blockieren. Nach Berichten von Anwesenden gegenüber addn.me soll die Polizei dabei äußerst aggressiv reagiert und mit Schlagstöcken und Tritten die Protestierenden vom Eingang gestoßen haben. Mit Beendigung des Polizeieinsatzes wurde auch die Kundgebung beendet und die Demonstrierenden verstreuten sich.
Wenige Stunden später sammelten sich jedoch erneut mehrere hundert Aktivistinnen und Aktivisten im Alaunpark. Im Vorfeld war zu einer „Tag X – Lärmdemo“ aufgerufen worden. Gegen 18 Uhr setzte sich der unangemeldete Demonstrationszug unter „Wir besetzen Dresden – Putzi Bleibt – one Struggle, one Fight“-Rufen in Richtung Görlitzer Straße in Bewegung und wuchs schnell auf über 250 Personen an. Auf fast der gesamten Strecke zündeten die Demonstrierenden Bengalos, Rauchtöpfe und Knaller. Augenzeugen berichteten, dass die eingesetzten Polizistinnen und Polizisten teilweise überfordert wirkten und Probleme hatten, mit dem Demonstrationszug Schritt zu halten.
Erst am Albertplatz gelang es den eingesetzten Beamtinnen und Beamten, den Demonstrationszug daran zu hindern, auf direktem Weg zum ehemaligen besetzten Haus zu gelangen. Nachdem die Aktivistinnen und Aktivisten im Anschluss versuchten, über die Alaunstraße auszuweichen, wurde der Zug unweit der Scheune erneut unter dem Einsatz von Pfefferspray gestoppt, woraufhin sich die Demonstration in Kleingruppen auflöste und zerstreute.
Auf meine Aussage "Ich bin Presse, lasst mich fotografieren" hörte ich gerade ein "Na und? Heute nicht, verpiss dich" Es tut so gut in einem Rechtsstaat mit Pressefreiheit zu leben #dd2201
Ein Großteil der Menschen fand schlussendlich dennoch den Weg auf die Königsbrücker Straße, welche für eine längere Zeit blockiert wurde. Hier kam es zu einem Übergriff seitens der Polizei auf eine minderjährige Person. Der 17-Jährige wurde von der Polizei festgenommen und in den Hinterhof des Geländes auf der Königsbrücker Straße gebracht. Dort wurde er nach Augenzeugenberichten gegenüber addn.me eine dreiviertel Stunde kontrolliert. Dabei musste der Jugendliche auch seine Hose ausziehen und so eine geraume Zeit in der Kälte stehen. Als Aktivistinnen und Aktivisten versuchten, die Situation zu filmen, soll die Polizei dies versucht haben zu verhindern, indem sie die Sicht auf die Kontrolle mit einen Auto versperrte. Auch ein Anruf bei den Eltern des Betroffenen verweigerte die Polizei, wie dieser der Redaktion gegenüber beteuerte. Grund für die Kontrolle soll der Wurf eines E-Rollers und eines Werbeaufstellers gewesen sein. Die Polizei ermittelt wegen Körperverletzung.
Während CDU-Stadtbezirksbeirat Gunter Thiele und CDU-Stadrat Mario Schmidt die Besetzerinnen und Besetzer als Kriminelle bezeichnete, solidarisierten sich die Dresdner Jusos mit dem Anliegen der Besetzung. „Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum bereitet vielen Dresdnerinnen und Dresdnern schon jetzt große Probleme“, so die stellvertretende Vorsitzende Julia Seliger“, – und es ist ein Thema, das in absehbarer Zeit noch ernster werden wird. Gleichzeitig stehen Gebäude in bester Wohnlage seit Jahren leer, weil sich renditegierige Spekulantinnen daran auf Kosten der Allgemeinheit bereichern – so wie im Fall des Putzis.“ Bereits im Vorfeld hatte Stadtrat Johannes Lichdi (Die Grünen) die Immobilienfirma aufgerufen, mit den Besetzerinnen und Besetzern ein Nutzungskonzept abzuschließen.
Im Herbst 2018 veröffentlichten zwei Absolventen der Filmakademie Baden-Württemberg im Bereich Dokumentarfilm-Regie den Film „Lord of the Toy„, der sich mit dem Alltag des Dresdner Youtubers Max Herzberg beschäftigt. Für den Dokumentarfilm wurde Regisseur Pablo Ben Yakov und Kameramann André Krummel 2018 mit dem mehrere tausend Euro dotierten Leipziger Dokumentarfilmpreis ausgezeichnet. Die Ehrung erregte damals große Aufmerksamkeit. Kritikerinnen und Kritiker warfen den jungen Filmemachenden vor, mit ihrem Werk Rassismus und Antisemitismus unkritisch zu reproduzieren. Jetzt ist die Dokumentation auf DVD erschienen. Grund genug für unsere Redaktion, sich den Film und die Gruppe noch einmal genauer anzuschauen.
Eine schemenhafte Beobachtung.
Schon die Bilder am Anfang des Filmes entfalten eine verstörende Wirkung. Der Protagonist Max sprüht unter „Ich vergase Dich“-Rufen einem sichtlich angetrunkenen und unzurechnungsfähigen Jugendlichen minutenlang Deospray ins Gesicht. In guter deutscher Tradition hat man gelernt, dass eine „Vergasung“ nur dann funktionieren kann, wenn der Raum abgeschlossen ist: die Fenster werden prompt geschlossen. Es sind diese Bilder, die Ben-Yakov (32) und André Krummels (29) in ihrem Erstlingswerk „Lord of the Toys“ einzufangen und damit ein dystopisches Abbild eines Milieus darzustellen versuchen, welches einen Großteil der über 30-Jährigen verständnis- und sprachlos zurücklassen wird. Der Dokumentarfilm wurde 2018 bei der Leipziger Dok-Filmwoche uraufgeführt und mit der Goldenen Taube, dem Hauptpreis des Leipziger Dok-Festivals ausgezeichnet.
Im Mittelpunkt des Filmes steht der 21 Jahre alte Dresdner Youtuber Max Herzberg und seine Clique. Mit über 300.000 Abonnenten seines Youtube-Kanals sind seine Videos schon lange keine Jugendspielereien mehr, sondern knallhartes Business. Den Grundstein seines Erfolges legte Max aka Adlersson vor allem mit sogenannten Unboxing-Videos. Dieses spezielle Youtube-Format besteht darin, dass zugeschickte Werbeartikel vor laufender Kamera ausgepackt und erklärt werden – ein rein kommerzialisiertes Werbeformat also. Mittlerweile hat Max Herzberg mit Videos die seinen „lifestyle“ darstellen sollen, ein zweites Standbein bei Youtube. Auch wenn die Videos häufig nicht mehr bieten, als endlose Sauferei und Scherze auf Niveau eines 12-Jährigen, werden diese hunderttausendfach geschaut. Inzwischen hat Herzberg damit auch über Sachsens Landesgrenzen hinaus Bekanntheit erlangt. Mehrere regionale und überregionale Zeitungen widmeten Adlersson bereits zumeist unkritische Artikel.
Diese Videos von scheinbar ziel- und planlos durch Dresden umherirrenden Jugendlichen, waren es dann wohl auch, die den Machern den Impuls gaben, die Gruppe über drei Monate hinweg zu begleiten und den Alltag einer Clique abzubilden, deren Erwartungen an das Leben häufig nicht über einen „ordentlichen Suff“ hinausgehen. Entsprechend ist auch die szenische Umsetzung. Unkommentiert wird die Kamera auf alles drauf gehalten, was die Gruppe in Dresden anstellt. Ob exzessive Suffabende, abbrennen von verschiedensten Dingen oder eine Schlägerei mit POCs auf dem Oktoberfest in München, die Herzberg mit der Aussage quittiert „we are Nazis from eastgermany, we are fucking Nazis“ – vieles was auf Bild festgehalten wird, ist für Kinobesucherinnen und Kinobesucher am Rande des Aushaltbaren. Fast omnipräsent zieht sich eine rassistische, homophobe und antisemitische Grundhaltung durch den Film.
Die Stärke der Dokumentation, die Protagonisten sich unkommentiert selbst bloßstellen zu lassen, ist gleichzeitig auch die große Schwäche des Filmes. Eine Einordnung in größere gesellschaftliche Entwicklungen findet nicht statt. Wer, wie, warum, Ursachen und Gründe werden nicht erfragt – auch wenn von den Protagonistinnen und Protagonisten dazu wenig zu erwarten gewesen wäre. So stellt Herzberg in einer Szene fest, warum die Gruppe etwas mache sei eigentlich egal, solange die ihnen zugewandte Fancommunity es nachahmen würde. Durch die fehlende Analyse des gezeigten, werden die Zuschauer in einer Ratlosigkeit zurück- und mit dem Gesehenen allein gelassen.
Dabei gebe es viel zu analysieren und zu erzählen. Viel über die gesellschaftlichen Hintergründe einer Dresdner Jugend, deren Moralentwicklung maßgeblich durch PEGIDA mitgeprägt wurde. Wo „ein bisschen Rassismus halt dazu gehört, wir sind hier halt im Osten“, wie Herzberg dazu treffend in einem seiner Videos formuliert. Wo Rassismus nur ein schlechter Witz ist, man doch aber eigentlich unpolitisch sei und trotzdem Ausdruck der politischen Geisteshaltung einer ganzen Stadt ist. Einer Generation, die durch soziale Medien Hunderttausende erreicht und sich doch nur selbst bestätigt. So führte Herzberg unlängst auf seinem Kanal aus, wie überrascht er war, dass so viele seinen Film kritisierten. Bisher habe er nur Menschen getroffen, die seine Videos lustig fanden. Mit dem Schritt aus der eigenen Blase, den die Gang mit dem Film wagte, wird eine Generation portraitiert, in der Freundschaft sich häufig mehr über den ökonomischen Nutzen definiert, als über wirklichem Zusammenhalt. Eine Jugend, die aufgewachsen ist zwischen der Freiheit des Internets und der Unfreiheit der Wirklichkeit, eine Jugend, die nichts anderes mehr kennengelernt hat, als die neoliberale Realität.
Viel zu erzählen gebe es auch über die fast ausschließlich männlichen Protagonisten und deren Verstrickungen in die rassistischen Ausfälle ab 2014. Über Frederic Seibt, der noch 2015 neben dem später als Mitglied der „Freien Kameradschaft Dresden“ (FKD) verurteilten Robert Stanelle vor dem Asylbewerberheim auf der Stetzscher-Straße stand und gegen die Unterbringung von Geflüchteten protestierte. Über Moritz Waurig, der zusammen mit dem ebenfalls im Film vorkommenden Marvin Claus das Nazisfestival 2017 in Themar besuchte. Auch der unscheinbar wirkende Patrick Gamel Singh entpuppt sich als rechter Gewalttäter. Er war mit hunderten anderen Nazis an dem Überfall auf den alternativen Leipziger Stadtteil Connewitz beteiligt und attackierte schon 2015 mit Mitgliedern der FKD Pro Refugee Aktivistinnen und Aktivisten auf der Bremer Straße.
Frederic Seibt rechts mit Deutschlandfahne
Es war zu beobachten, dass spätestens mit der polizeilichen Zerschlagung der FKD die jüngeren Mitglieder in der Gruppe von Herzberg eine neue Heimat fanden, wie auch Kenner der rechten Szene in Dresden gegenüber addn.me bestätigten. Wesentlich einfacher konnten sie dort ihre menschenverachtenden Einstellungen konservieren, eine Gemeinschaft finden und sogar noch Profit daraus schlagen. So konnte vor allem Frederic Seibt massiv von der Popularität Max Herzbergs profitieren und besitzt mittlerweile über 30.000 Follower auf Instagram.
Um nicht falsch verstanden zu werden. Im besonderen Herzberg ist kein Nazi. Er würde sich nie einer Gruppierung anschließen, dafür steht Hedonismus, Lifestyle und Profitstreben für den mittlerweile 28-Jährigen zu sehr im Mittelpunkt. Auch wenn es in seinen Videos häufig nicht so erscheinen mag, ist er doch fernab der Kamera auf der Suche nach dem Übergang von pubertärem Verhalten in ein gut bürgerliches Leben – regelmäßige Pauschalreisen in die warmen Regionen der Welt inklusive.
Überzeugte Standpunkte lassen sich bei Herzberg kaum finden. Einstellungen jedoch umso mehr. Offen zur Schau gestellte Männlichkeit und Homophobie sind bei Herzberg ständiges Thema. Darüber können auch nicht die regelmäßigen homoerotischen Tänze und Kussszenen in seinen Videos hinwegtäuschen. Diese sind weniger als Widerspruch zu seinen homophoben Tendenzen, sondern vielmehr als Ausdruck eines provokativen jugendlichen Spielens mit der heteronormativen Realität zu verstehen.(1) Auch die Behauptung, nicht rassistisch zu sein, da mit Hektor Panzer alias Elias Dohrn auch eine „schwarze Person“ Teil der Gruppe sei, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung als Schutzbehauptung. Es kann nur als Symptom der „Identifikation mit dem Aggressor“ innerhalb der rassistischen Normalität der Gruppe interpretiert werden, wenn Elias Dohrn Arm in Arm mit dem langjährigen rechten Gewalttäter Felix Friebel im Division-Sachsen-Shirt bekleidet, am lautstärksten von allen „Opa war Sturmführer bei der SS“ mitsingt.
All das beleuchtet der Film nicht und lässt damit eine Chance aus, Erklärungen für das gute Abschneiden der AfD bei den unter 25-Jährigen zu liefern. Auch schaffen die Filmemacher es nicht, Herzberg und seine Crew aus der Reserve zu locken. Als stille Beobachter und Filmer müssen sie sich stattdessen den Vorwurf gefallen lassen, nur eine ästhetischere Darstellung der Szenen zu liefern, die bereits Wochen zuvor auf dem Kanal von Herzberg in schlechterer Qualität liefen. Auch dass der Instagram-Kanal des Films fast ausschließlich von der Crew mit Content gefüllt wurde, zeugt von der geringen Sensibilität der beiden Studenten. Der häufig geäußerte Vorwurf, allein auf den kommerziellen Erfolg der Gruppe aufspringen zu wollen, ist hier durchaus nicht abwegig. Nichtdestotrotz bietet das Material kritischen Beobachterinnen und Beobachtern genügend Diskussionsstoff, um sich mit dem Alltag der Gruppe auseinanderzusetzen und eigene Schlüsse zu ziehen. Der Film dürfte zumindest vielen Menschen einen spaltbreit Einblick in eine Welt gegeben haben, mit deren Symbolen und Codes sie zwar regelmäßig in Dresden konfrontiert sind, sie aber häufig nicht einordnen können.
(1) Mit Klaus Theweleit, dem Autor des Buches „Männerphantasien“ lassen sich diese Szenen interpretieren, als Ventil mit dem Homoerotik zwischen Männern ausgelebt werden kann. Dabei sorgen die engen Regeln dieser Rituale dafür, dass alle Handlungen im Spiel verbleiben und die eigene homophobe Grundhaltung gestärkt werden kann. Die unterdrückte Seite der eigenen Persönlichkeit kommt hier für einen kurzen, reglementierten Moment zum Vorschein. Interview mit Theweleit im Freitag
Am gestrigen Freitag Abend luden mehrere Dresdner Kulturschaffende zum „Seifenopernball“ auf den Schloßplatz. Das Ziel war klar: Jetzt wo der SemperOpernball gerade stark abbaut und absehbar eine Lücke im Ball-Segment der sächsischen Landeshauptstadt hinterlassen wird, braucht es eine basisdemokratische Alternative. Eine Alternative, die nicht nur auf elitäre Begleiterscheinungen verzichtet, sondern auch darauf, „die Autokraten dieser Welt mit Orden auszuzeichnen“, so die deutliche Ansagen vom Lautsprecherwagen.
Los ging es mit einem „Einlauf für Dresden“, welcher gegen 18 Uhr am Alaunpark startete. Etwa 200 Personen hatten sich dort versammelt und zogen, teilweise verkleidet, zu bestens ausgesuchter Tanzmusik über den Albertplatz und die Carolabrücke auf den Schloßplatz. Dort angekommen, übernahm keine Geringere als die Hamburger Popmusikerin Bernadette La Hengst (I can‘t relax in Deutschland, Die Zukunft, uvm.) die feierliche Eröffnung. Mit dem Ballmotto grenzte man sich deutlich von der exklusiven Einladungspolitik der strauchelnden Ballkonkurrenz ab. Statt tausende Euro für Eintrittskarten zu verlangen, galt: „Euer Geld ist uns egal, auf eurem Seifenopernball.“
La Hengst führte gemeinsam mit Lara Liqueur durch den Ballabend. Begleitet von der Banda Internationale gab es mehrere Musikeinlagen: Zusammen mit La Hengst coverten sie etwa den Goldene Zitronen-Klassiker „Turnschuh“ und spielten eigene Songs, wie „Wir sind die Vielen“. Dazwischen wurden auch beim Seifenopernball Orden verliehen. Auch hier war das Prozedere denkbar einfach: Alle Anwesenden konnten sich selbst vorschlagen, anschließend wurde gelost.
Die Begründung, warum die Ausgewählten den Orden verdienen, lieferten sie nach der Vergabe gleich selbst. Und die Gründe waren ungleich glaubwürdiger, als beim Fantasieorden auf dem Opernball nebenan: Eine Person zeichnete sich dafür aus, dass sie sich gegen den durchrationalisierten, „marktgerechten“ Krankenhausalltag für einen menschlichen Umgang stark macht. Eine andere dafür, dass sie zurück nach Dresden gezogen ist. Wieder eine andere bekam den Preis für ihre Begeisterung darüber, einen Orden verliehen zu bekommen.
Bereits am Nachmittag hatte die Amnesty International Gruppe Sachsen vor dem Operngebäude mit einer Mahnwache gegen die ursprünglich vorgesehene Auszeichnung des ägyptischen Machthabers Al-Sisi protestiert. Sie warfen dem 2013 durch einen Militärputsch an die Macht gelangten Diktator die gezielte Einschüchterung und eine Unterdrückung friedlicher Proteste vor. Seit seinem Amtsantritt habe sich die Menschenrechtslage in Ägypten rapide verschlechtert.
Was bleibt: Der bessere Ball fand dieses Jahr auf dem Schloßplatz statt. Und die Organisatorinnen und Organisatoren haben bereits durchblicken lassen: Es wird nicht der letzte Ball gewesen sein. Vielmehr wird erwogen, im kommenden Jahr die Semperoper zu besetzen. Und das wäre definitiv ein Gewinn für Dresden.
Zum zweiten Mal ist es in Dresden das F*Streik-Netzwerk, da sich rund um den Frauenkampftag am 8.März organisiert. Wir haben mit zwei Aktivistinnen gesprochen, die auch in diesem Jahr wieder im Netzwerk aktiv sind.
Was erwartet uns rund um den 8. März 2020?
Dieses Jahr erwartet uns in Dresden zunächst einmal eine Veranstaltungsreihe. Die setzt sich aus vielen verschiedenen Formaten zusammen. Es wird mehrere Lesungen geben. So fragt Dania Alasti mit einem geschichtlichen Einstieg: Welche Rolle haben Frauen in Revolutionen gespielt? Wie lassen sich Revolutionen auch weiblich denken und nachvollziehen? Weiter beschäftigt sich Bini Adamczak mit alternativen Streikformen zum klassischen Bestreiken von Lohnarbeit. Und es gibt auch ganz viel Kunst dieses Jahr, was sehr schön ist. Es wird eine Videoinstallation in der kosmotique geben, die Aria Fermata. Und in der Hochschule für Bildende Künste (HfBK) findet eine ganze Aktionswoche um den 8. 3. herum statt. Außerdem gibt es eine Ausstellung im FrauenBildungsHaus Dresden mit Fotos, die letztes Jahr bei einem Streikcafé in der kosmotique entstanden sind.
Wer ist das F*Streik-Netzwerk? Welche Leute sind hier in Dresden aktiv und organisieren das?
Das F*Streik-Netzwerk ist letztes Jahr aus losen Zusammenhängen entstanden. Es besteht aus vielen Einzelpersonen, aber auch aus Gruppen, die in Dresden feministisch aktiv sind, teilweise auch ohne Feminismus zwangsweise als zentrales Thema zu haben. Im Netzwerk sind Gruppen wie das Internationalistische Zentrum (IZ), e*vibes, die kosmotique, die FAU, aber auch Hochschulgruppen (TU, HfBK, EHS) und das Frauen*bildungszentrum. All diese Gruppen haben sich dieses Jahr erneut zusammengetan, um die Veranstaltungsreihe zu organisieren. Sie funktionieren relativ eigenständig und planen ihre eigenen Aktionen zum 8. März. Das Netzwerk diente – so die Idee am Anfang – dazu, sich abzustimmen, zu wissen, was wer macht und wo vielleicht gemeinsame Aktionen geplant werden können.
Letztes Jahr war das Netzwerk auch an eine bundesweite Struktur angedockt. Ist das dieses Jahr auch wieder der Fall?
Wir sind insofern Teil einer bundesweiten Struktur, als dass wir Infos bekommen und prinzipiell auch immer mal zu den bundesweiten Treffen gefahren sind, um uns auszutauschen. Weil in Deutschland aber unheimlich viele unterschiedliche Ortsgruppen aktiv sind, ist die Zusammenarbeit nicht wahnsinnig nah – es geht aktuell mehr darum, voneinander zu wissen. Regional gibt es aber eine engere Vernetzung, so gibt es zum Beispiel einen Austausch mit Pirna. Dort ist zum 8. März eine Demonstration geplant. Außerdem gab es in diesem Jahr schon ein Treffen mit anderen Ortsgruppen, zum Beispiel aus Leipzig und Chemnitz.
Das Motto von diesem Jahr ist „DIE STREIK(T) …und du?“Letztes Jahr gab es diverse Aktionen am 8. März, bei denen auch zum Streik aufgerufen wurde. Wie sind die politischen Diskussionen innerhalb des Netzwerkes um das Thema Streik?
Zunächst einmal ist der 8. März dieses Jahr ein Sonntag. Das hat relativ rege Diskussionen ausgelöst: Was macht wir eigentlich an einem Sonntag? Sind wir schon so weit, bestimmte Berufsgruppen, die auch Sonntags arbeiten, zu organisieren? Das sind wir wohl nicht… Sollten aus diesem Grund die Aktionen auf Freitag oder Montag verlegt werden? Wahrscheinlich wird es letztlich Freitag und Sonntag eher dezentrale und voneinander losgekoppelte Aktionen geben, die jeweils unterschiedliche Foki haben. Was wir dieses Jahr auf jeden Fall auch wieder machen werden, ist, das Thema Streik an dem Tag selbst im Gespräch zu halten. Es wird mindestens ein Streikcafé in Dresden geben, welches dazu dienen soll, gemeinsam über bestimmte Fragen ins Gespräch zu kommen: Wie arbeiten wir eigentlich, was wollen wir eigentlich bestreiken, warum müssen wir streiken? Was sind unsere Gründe dafür? Das wollen wir auch ins Stadtbild zu tragen.
Und vielleicht noch ergänzend: Bei der Diskussion um den Sonntag ging es natürlich auch darum, dass es bestimmte Berufsgruppen und den Bereich der Haus- und Sorgearbeit gibt, wo sonntags immer gearbeitet werden muss. Wenn wir auch keine Organisierung dieser Berufsgruppen aus dem Boden stampfen können, macht es doch Sinn, dieses Thema aufzugreifen. Das thematisieren wir auch im Rahmen einer Veranstaltung – und zwar in der Lesung mit Luise Meier, wo es um „fuck up“ und „unwork“ als mögliche Streikformen geht. Eine weitere Möglichkeit, was am Sonntag gemacht werden kann: Sich den privaten Bereich anschauen und sich fragen: Wie könnten wir die dortigen Arbeiten sinnvoll bestreiken? Bin ich die Einzige, die die ganze Zeit den Haushalt organisiert und Care-Arbeit leistet? Ich muss nicht nur Lohnarbeit bestreiken, ich kann auch das bestreiken und all diese Dinge bewusst nicht tun.
Das heißt, ich kann bei mir und meinem Umfeld Bewusstwerdungsprozesse auslösen. Ganz konkret kann ich aber auch am 8. März in die HfBk gehen. Dort findet ein Frühstück im Rahmen der Aktionswoche statt. Sind schon andere Termine am 8.3. klar?
Das Frühstück findet von 11 bis 15 Uhr in der HfBK (Brühlsche Terrasse) statt. Es dient zum einen dem Austausch und zum anderen dem gemeinsamen Transpi-malen. Andere Gruppen sind noch über mögliche weitere Streikcafés im Gespräch, da steht aber noch nichts Genaueres fest. Ich verweise an dieser Stelle gerne auf unsere Homepage (www.f-streikdresden.de)und unser Facebookseite.
Am besten ist es natürlich, selbst etwas zu tun. Alle sind herzlich eingeladen und dazu aufgerufen, selbst Streikcafés zu organisieren. Sie dienen vor allem als Raum, um über Dinge zu sprechen, für die sonst wenig Platz ist, die uns normal oder alltäglich erscheinen. Es ist nicht sehr voraussetzungsvoll, ein Streikcafé zu organisieren. Es könnten auch Menschen eingeladen werden, diese Cafés mit Essen zu versorgen, die das normalerweise nicht so oft tun, zum Beispiel Männer*. Letztes Jahr haben einige Männer* damit und mit der Kinderbetreuung geholfen. Darüber freuen wir uns auch dieses Jahr.
Feminismus ist ja kein Thema für einen Tag, sondern fürs ganze Jahr, und in Dresden tut sich da ja sehr viel in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen. Vielleicht könnt ihr noch einen Ausblick wagen: Was für einen Impuls setzt der F*Streik für Feminismus in Dresden?
Meine Hoffnung ist, dass durch die vielen unterschiedlichen Gruppen mit den vielen verschiedenen Schwerpunkten auch die Impulse wiederum sehr unterschiedlich sein werden. Die Aktionswoche an der HfBK macht zum Beispiel den Zusammenhang zwischen Sexismus und Arbeit zum Thema. Das ist auf jeden Fall ein sehr wichtiges Feld, welches auch im vergangenen Jahr stark vom Streikmobil der Schwarzen Rose aufgegriffen wurde. Die Schwarze Rose ist eine Schüler_innengewerkschaft, die sich unter anderem mit Sexismus in Schule und Ausbildung beschäftigt. Das sind Stellen, wo es sonst extrem wenig Selbstorganisation und Unterstützung gibt. Es wäre sehr wünschenswert, eine größere Debatte unter Azubis und Schülis anzustoßen und sie zu ermutigen, sich selber zu organisieren.
Außerdem beteiligt sich dieses Jahr auch eine Gruppe von Sozialpädagog*innen, was vielleicht der Anfang einer Branchenorganisierung sein könnte. Diese Gruppe will am 17.3., dem Internationalen Tag der Sozialen Arbeit (der in diesem Jahr auch gleichzeitig der equal pay day ist), an die Öffentlichkeit gehen. Wir hoffen, dass daraus etwas entsteht und wir weiter in Verbindung bleiben.
Abschließend lässt sich sagen: es passiert eine Menge, es gibt eine fette Veranstaltungsreihe an der teilgenommen und konsumiert werden kann, in erster Linie aber geht es darum, das Heft selbst in die Hand zu nehmen und sich mit Freund*innen und Kolleg*innen zu organisieren. An dieser Stelle auch nochmal der Aufruf: Malt Transpis, hängt sie aus den Fenstern, macht die Stadt bunt (oder lila) an diesem Tag und sorgt dafür, dass uns niemand übersehen kann!
Am vergangenen Samstag versammelten sich rund 150 Menschen vor dem Kulturpalast, um an durch Einwirkung von Kraftfahrzeuge verletzte und getötete Menschen im Jahr 2018 in Dresden zu erinnern. Symbolisch stellten 49 auf dem Boden liegende Menschen und weitere 82 Fahrräder die Anzahl aller zu Schaden gekommenen oder gar getöteten Menschen visuell dar. Ein eindringliches Zeichen an alle Dresdnerinnen und Dresdner, aber auch ein Appell an die Stadtverwaltung für ein Umdenken im alltäglichen Miteinander im Straßenverkehr.
Aufgerufen zu diesem kreativen Protest hatte das Aktionsbündnis Verkehrswende Dresden. Wie die Organisatorinnen und Organisatoren in einer Pressemitteilung schrieben, ist dabei das ausgerufene Ziel die Vision-Zero, also null Verkehrstote. Während in der norwegischen Hauptstadt Oslo im letzten Jahr lediglich ein Mensch auf den Straßen starb, ist die Vision von null Verkehrstoten in Finnlands Hauptstadt Helsinki bereits 2019 Realität geworden.
Die Forderungen des Bündnisses sind vielseitig. Unter anderem wird die Einführung eines Tempo 30 Limits an vergangenen, aber auch zukünftigen Unfallorten mit Personenschäden vorgeschlagen. Auch auf ein bereits 2018 verabschiedetes Mobilitätsgesetz in Berlin wird hingewiesen, mit dem ein gesetzlicher Rahmen zur Entschärfung von Unfallstellen geschaffen wurde. „So etwas fordern wir für Dresden in Anbetracht der grassierenden Umstände auch. Die Vision-Zero ist seit Jahren auf der politischen Agenda, nur der Durchsetzungswille fehlt.“ kritisiert die Sprecherin des Bündnisses. Weiter soll die Planung zur Umsetzung der Entschärfung des Unfallortes nach maximal 12 Wochen vollendet sein. Für die oft schwerfällig arbeitende Stadtverwaltung wäre das ein ambitioniertes Ziel. Insgesamt wünschen sich die Organisatorinnen und Organisatoren eine lebenswerte und sichere Stadt für alle Menschen und nicht für Kraftfahrzeuge.
Um auf die Belange der Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer aufmerksam zu machen, setzt sich jeden letzten Freitag im Monat eine „Critical Mass“ in Bewegung. An der Halfpipe Lingnerallee starten interessierte Menschen um 18:30 Uhr zur gemeinsamen Ausfahrt und genießen dabei als Konvoi Sonderrechte im Straßenverkehr. Obwohl es in der Vergangenheit immer wieder zu gefährlichen Situationen mit uneinsichtigen Autofahrerinnen und Autofahrern sowie rabiatem polizeilichem Vorgehen gekommen war, ist dafür nach Ansicht der Teilnehmerinnen und Teilnehmer weder ein Veranstalter, noch eine Anmeldung notwendig.
„Wir haben Platz“ lautete das Motto einer kurzfristig anberaumten Demonstration in Dresden, der sich am heutigen Mittwoch mehr als 300 Personen anschlossen. Sie forderten ein Ende der Abschottungspolitik an den europäischen Außengrenzen. Unter Rufen wie „Brick by brick, wall by wall – make the fortress Europe fall“ zog die Demonstration vom Alaunpark über den Albertplatz zum Neumarkt.
Anlass war die eskalierende Situation insbesondere in Griechenland: Die konservative Regierung hatte dort vor wenigen Tagen das Asylrecht ausgesetzt und unterläuft damit die Genfer Flüchtlingskonvention. Begleitet wurde das Vorgehen von Übergriffen der Grenzschutzbehörden und der Polizei auf Hilfesuchende, die sich aus der Türkei auf den Weg nach Europa machen. Auf der Insel Lesbos blockierten Nazis gemeinsam mit Bürger:innen die Häfen, um das Anlanden weiterer Boote zu verhindern und machten in den vergangenen Tagen Jagd auf Migrant:innen, Helfer:innen und kritische Presse.
Unterstützung findet diese Art der Selbstjustiz in der CDU. Der amtierenden EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen fiel bei ihrem Besuch in Griechenland nichts besseres ein, als zu verkünden: „We will hold the line“. Ganz so als wäre der Versuch einiger tausend Menschen ihr Recht auf Asyl in Anspruch zu nehmen ein kriegerischer Akt. Sie dankte hingegen Griechenland dafür, in dieser Zeit das „Schild Europas“ zu sein und ignorierte Rechtsbruch und Angriffe. Abgrenzung zur faschistischen Rhetorik sucht man hierbei vergebens. Daran ändert auch die Floskel von den „europäischen Werten“ nichts.
Diese reaktionäre Haltungslosigkeit verdient Kritik und Öffentlichkeit. Und vielleicht ist an der Zeit, sie dort zu thematisieren, wo sie offenbar als akzeptabel gilt: An den CDU-Zentralen dieses Landes. Als Landeshauptstadt bietet Dresden mit der CDU-Landesgeschäftsstelle auf der Fetscherstraße und dem Sitz des CDU-Kreisverbands an der Kreuzkirche gleich zwei adäquate Adressen, um derlei Kumpanei mit Rechtsaußen wirksam zu kritisieren, auch wenn diese jenseits etablierter Demonstrationsrouten in der Innenstadt liegen.
Am frühen Donnerstagmorgen wurde Houssam von Frankfurt am Main nach Algerien abgeschoben. Zuvor war er von Grimma in das Abschiebegefängnis nach Dresden gebracht worden, wo er nur wenige Tage verblieb. Der Versuch, die drohende Abschiebung durch einen Eilantrag noch zu stoppen, blieb letztlich ohne Erfolg. Politiker:innen und Flüchtlingsorganisationen zeigen sich empört über das Vorgehen der Behörden.
Houssam war 2017 nach Deutschland gekommen, nachdem zuvor sein Asylantrag in der Schweiz abgelehnt worden war. Dort verbrachte er nach Angaben des „Dorfes der Jugend“ in Grimma, in dem der 35-Jährige bis zu seiner Abschiebung als Hausmeister gearbeitet hatte, 18 Monate in sogenannter „Ausschaffungshaft“. Der Aufenthalt im Abschiebezentrum auf der Hamburger Straße war also nicht seine erste Hafterfahrung.
In Deutschland betätigte sich Houssam neben seiner Arbeit im „Dorf der Jugend“ auch ehrenamtlich. So soll er Koordinator für ein Selbsthilfeprojekt beim Roten Kreuz gewesen sein und ein Projekt für geflüchtete Kinder unterstützt, sowie regelmäßig als Sprachhelfer ausgeholfen haben. In ihrer Stellungnahme beschreibt ihn das „Dorf der Jugend“ als „perfekte[n] Flüchtling. Jung, männlich, muslimisch, nordafrikanisch. Ein bezauberndes Lächeln, zum Zopf gebundene Haare, offenes Wesen. Immer engagiert, hilfsbereit und für andere da.“
Wenige Monate vor seiner Inhaftierung heiratete Houssam seine in Mannheim lebende Freundin Belinda. Beide wollten zusammenziehen, was jedoch auf Grund der Duldung Houssams nicht gestattet wurde. „Ich habe tausendmal bei der Ausländerbehörde angerufen und er hat alle möglichen Anträge gestellt, aber wir haben bis heute keine Antwort bekommen. Nichts wurde weitergeleitet. Das ist echt der größte Drecksladen“, äußerte sich Belinda zu ihren gemeinsamen Bemühungen, eine Umzugsgenehmigung für Houssam zu erwirken.
Das Recht auf ein faires Verfahren gilt nicht.
Heute wurde Houssam's Eilantrag abgelehnt und über die Haftbeschwerde entscheidet das Landgericht Dresden in seiner Abwesenheit. Für uns, @sfr_ev und @KntktGrAHaftDD bedeutet das, dass unsere juristischen Mittel ausgeschöpft sind.
— Dorf der Jugend | FJZ e.V. (@dorf_der_jugend) March 3, 2020
Am 28.02.2020 ordnete das Amtsgericht Dresden dann die Ingewahrsamnahme an. In einer kaum zu übertreffenden zynischen doppelten Verneinung argumentierte das Gericht: „Es ist auch nicht ersichtlich, dass sich der Betroffene der Abschiebung nicht entziehen will, denn aufgrund seiner in Deutschland lebenden Ehefrau und seiner Tätigkeit als Hausmeister hat er in Deutschland ein soziales Gefüge, welches er wohl nicht freiwillig aufgeben wird.“ Dadurch sieht es ein „dringendes Bedürfnis für sofortiges Tätigwerden“. Kurz darauf wurde Houssam in das Abschiebegefängnis in der Hamburger Straße nach Dresden gebracht, von wo am 4. März seine Abschiebung nach Algerien organisiert wurden.
Der Fall Houssam sorgte für eine breite Solidarität und Empörung über das Vorgehen der zuständigen Ausländerbehörde des Landkreises Leipzigs und der Zentrale Ausländerbehörde der Landesdirektion. Die Landesdirektion insistierte in einer Stellungnahme zu dem Fall, dass der Antrag auf eine Aufenthaltserlaubnis aus familiären Gründen „prognostisch abgelehnt“ werden würde. Toni Kreischen von der Abschiebehaftkontaktgruppe Dresden zeigt sich in einer Stellungnahme empört über solche Aussagen: „Eine prognostische Ablehnung ist rechtsstaatlicher Unsinn!“
Auch die Sprecherin der Linksfraktion für Migrations- und Flüchtlingspolitik im Landtag Juliane Nagel kritisiert das Vorgehen der politisch Verantwortlichen: „Es ist ein Armutszeugnis, dass weder der Innenminister noch der Sächsische Ausländerbeauftragte, aber auch nicht das SPD-geführte Sozialministerium als Mitglied in der Härtefallkommission eine Lösung gefunden oder zumindest ernsthaft versucht haben, ein Bleiberecht für Houssam zu erwirken.“ Es sei jedoch nicht der einzige Fall, so Nagel weiter, in dem eine Ehe durch Abschiebung getrennt wurde. Laut einer Kleinen Anfrage im Sächsischen Landtag wurden zwischen 2015 und 2018 mindestens 13 Geflüchtete von ihren deutschen Ehepartner:innen durch Abschiebungen getrennt. Im zurückliegenden Jahr geschah das in mindestens drei Fällen.
Trotz der Tragik des Falles Houssam äußerte sich die Abschiebehaftkontaktgruppe erfreut über die vielfältige Solidarität. „Beachtlich war in diesem Fall die Unterstützung, die Houssam A. von politischer Seite – von LINKE über BÜNDNIS90/DIE GRÜNEN bis zu den JUSOS – erhielt.“ Dennoch sei es enttäuschend, „dass der Druck nicht darin mündete, ihn vor der Abschiebung zu bewahren.“
Am Samstag versammelten sich rund 100 Aktivist:innen in der Dresdner Innenstadt, um dort gegen die Abschottungspolitik der Europäischen Union zu protestieren. Mit einem 20-Meter Banner blockierten sie kurzzeitig die Prager Straße. Auf dem Banner war zu lesen: „Beendet das Morden an den Grenzen – Fight Fortress Europe“. Darüber hinaus trugen die Aktivist:innen mehrere dutzend Schilder mit sich auf denen die Namen der 35.000 Menschen standen, die beim Versuch nach Europa zu gelangen starben. In Sprechchören forderten sie die Öffnung der europäischen Grenzen und praktische Solidarität mit Geflüchteten.
Anlass für die Aktion war die menschenunwürdige Situation im türkisch-griechischen Grenzgebiet. Dort versuchen seit Tagen mehrere tausend Menschen nach Europa einzureisen. Die griechischen Grenztruppen sind inzwischen dazu übergegangen, die Menschen mit Tränengas und zum Teil unter Einsatz von scharfer Munition am Grenzübertritt zu hindern. Nach verschiedenen Quellen ist dabei bisher mindestens eine Person ums Leben gekommen. Mittlerweile kursieren in den sozialen Medien Nachrichten darüber, dass Geflüchtete die Griechenland erreichen, bis auf die Unterhose ausgezogen und anschließend wieder in die Türkei zurückgeschickt werden.
××× Aktuell befinden sich zahlreiche Aktivist*innen auf der Prager Straße um gegen die mörderische Politik der #EU zu protestieren! ×××
Die Aktivist:innen in Dresden wollen diesem Treiben nicht tatenlos zusehen. Mit der Aktion sollte die Haupteinkaufsstraße Dresdens blockiert werden, „um ein Zeichen zu setzen gegen das menschenverachtende Handeln der EU an den Außengrenzen“, wie es in einem während der Aktion verteilten Flyer hieß. Nach Aussagen der „Undogmatischen radikalen Antifa“ (URA) auf Twitter sollen die Reaktionen der Passant:innen in weiten Teilen positiv gewesen sein. Jedoch wurden auch Aussagen getätigt wie: „Die gehören alle erschossen.“
Nicht nur in der außerparlamentarischen Linken wird über den Umgang mit Hilfesuchenden an den europäischen Grenzen diskutiert. Mehrere Städte haben sich bereit erklärt, unbegleitete minderjährige Geflüchtete aufzunehmen. Schon am Mittwoch waren in Dresden 500 Menschen für die Aufnahme von Geflüchteten durch die Dresdner Innenstadt gezogen. Im Stadtrat scheiterte die Linke mit einen kurzfristig eingebrachten Eilantrag, welche die sofortige Aufnahme auf die Tagesordnung setzen sollte. Auf Landesebene sprach sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer gegen die Idee des sächsischen SPD-Vorsitzenden Martin Dulig aus, 150 Flüchtlingskinder aufzunehmen. „Unser Herz ist groß, aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt“, zitiert ihn das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) zu dem Thema. Die Möglichkeiten in Sachsen werden aber nicht annähernd ausgeschöpft, dafür sprechen etwa 200.000 leerstehende Wohnungen und der seit Jahren anhaltende Bevölkerungsrückgang. Vielmehr zeigt Kretschmers Aussage, dass man sich dem rechten Mob beugen will. Angesichts der unmenschlichen und überfüllten Zustände in den Camps auf Lesbos sind nicht erst seit heute Zweifel am christlichen Charakter der Unionspartei angebracht.
Am 7. März 2020 zogen nun zum bereits vierten Mal unter dem Motto: „Solidarität mit den inhaftierten Gewerkschafter*innen der GGBO“ etwa 150 Menschen zur Chemnitzer Justizvollzugsanstalt (JVA), um damit anlässlich des Internationalen Frauenkampftages die Kämpfe der Inhaftierten, die schlechten Arbeitsbedingungen und medizinische Versorgung sichtbar zu machen. Inhaftierte Menschen berichteten in der Vergangenheit immer wieder über Schikanen durch die Wärter:innen in dem ohnehin stark reglementierten Gefängnisalltag.
Ebenso klagen die Inhaftierten über chronischen Schmerzen und vollkommen unzulängliche medizinische Versorgung. Dies ist kein Wunder, da die finanziellen Aufwendungen für Menschen in Gefängnissen sehr gering ist, so lagen nach Angaben der Gefangenen-Gewerkschaft (GGBO) die Gesundheitskosten für inhaftierte Menschen in Sachsen 2019 durchschnittlich bei 1.638 Euro, während gesetzliche Krankenkassen 2017 pro Kopf 2.887 Euro aufgewendet haben. Durch den anhaltenden Personalmangel fallen zudem die wenigen Möglichkeiten für soziale Angebote weg und der Aufschluss für die Inhaftierten wurde bereits vor mehreren Jahren von zwei auf eine Stunde am Tag gekürzt.
Zum Verlauf der Demonstration äußerte sich die Pressesprecherin Jil Neubert des organisierenden Bündnisses: „Wir werden auch weiterhin darauf aufmerksam machen, dass das aktuelle Strafsystem keine Möglichkeit zur ‚Resozialisierung‘ bietet oder die ‚Gesellschaft‘ vor Menschen schützt. Im Gegenteil – mit seinen strukturellen gewaltvollen Bedingungen reproduziert es die bestehenden Verhältnisse und ignoriert die gesellschaftlichen Bedingungen, die überhaupt dazu führen, dass Menschen kriminell werden. Menschen, die im Knast waren, werden statistisch gesehen häufiger rückfällig, als Menschen bei denen die Strafe milder ist – wo die Freiheitsstrafe z.B. durch Bewährung ausgesetzt wird. Menschen kommen oft traumatisiert und verarmt aus dem Knast, weil sie dort nichts verdienen und es keinen Mindestlohn, Sozial- oder Rentenansprüche gibt.“
In diesem Jahr gab es eine längere Kundgebung direkt vor der JVA, die im vergangenen Jahr noch von der Ordnungsbehörde untersagt worden war. Das Recht, direkt vor dem Knast zu protestieren, konnte in diesem Jahr jedoch nur auf juristischem Weg erstritten werden. Auf der Kundgebung wurden Grußbotschaften von Inhaftierten aus Chemnitz und anderen JVAen verlesen wurden. Außerdem wurden Musikwünsche der Inhaftierten gespielt und es gab eine Fahnenchoreografie.
Seit Beate Zschäpe in die Chemnitzer JVA verlegt wurde, gab es immer wieder Kritik an der Demonstration. So sitzen neben der mittlerweile zu einer lebenslangen Gefängnisstrafe verurteilten Rechtsterroristin auch Menschen ein, die sich auf Grund ihrer rassistischen Alltagserfahrungen einer gänzlich neuen Bedrohungslage ausgesetzt sehen. Die Veranstalter:innen äußerten sich dazu: „Die Tatsache, dass Nazis im Knast sind sollte nicht unser Verhalten zu Gefangenen an sich und dem Knastsystem bestimmen. Knast ist ein ausbeuterischer, gewaltvoller und autoritärer Ort der Menschen brechen soll durch seine monotonen Abläufe und sozialen Isolation. Der Knast ist auch kein schwarzes Loch, in welchem Nazis einfach verschwinden. Meist vernetzen sie sich und profitieren von den gewaltvollen und rassistischen Strukturen, welche dort bereits existieren. Unser Anliegen ist es Menschen mit emanzipatorischen und widerständigen Gedanken zu stärken und zu ermutigen sich gegen dieses System aufzulehnen.“
Nach dem Fall Houssam berichtet die Abschiebehaft Kontaktgruppe erneut von einem skandalösen Fall des Abschiebegewahrsam, der sich seit Mitte Februar in Dresden abspielt. Besonders brisant an der Inhaftierung von Youssef F. ist, dass er kurz davor stand, seine Frau Nanette zu heiraten. Sie hat zwei Kinder, an deren Erziehung sich auch Youssef beteiligt. Die Familie aus Hoyerswerda steht mit der drohenden Abschiebung vor dem Nichts.
„Wir haben am Abend vorher noch gefeiert und uns gefreut, dass alles geklappt hat“, so Nanette fassungslos. Dem Glück des jungen Pärchens setzten Beamte der sächsischen Polizei jedoch ein jähes Ende. Nur wenige Stunden nach der erfolgreichen Eheschließung vor dem Standesamt Hoyerswerda standen sie vor der Wohnungstür der Beiden, um Youssef abzuholen: Abschiebung. Seit er zum Frankfurter Flughafen gebracht wurde, wo er noch einmal deutlich machte, dass er zurück zu Frau und Kindern wolle, sitzt F. im Abschiebegewahrsam in Dresden, Zukunft: Ungewiss!
Dabei hätte das Leben von Youssef und seiner Frau gerade nicht besser sein können. Seit zwei Jahren ist er Teil einer kleinen Familie. Die drei- und fünf-jährigen Kinder von Nanette haben Youssef in ihr Herz geschlossen. „Mein Mann ist fester Bestandteil der Familie. Er spielt mit den Kindern, liest ihnen vor und bringt sie ins Bett“, erzählt Nanette in einer Mitteilung der Abschiebehaftkontaktgruppe. Da Youssef einen Großteil der Kinderbetreuung übernommen hat, kann sich Nannette auf ihre Spät- und Nachtschichten konzentrieren und die Familie finanziell über die Runden bringen. Mit der drohenden Abschiebung steht auch dies auf dem Spiel.
Sie meldeten ihre Eheschließung an. Am nächsten Tag steht die #Polizei vor der Tür: #Abschiebung. Nun sitzt Youssef F. in #Abschiebehaft. Mildere Mittel wie Visumsverfahren und bereits gebuchtes Flugticket – egal für #Sachsen|s Behörden und Gerichte. https://t.co/2w1lB0Xqr2
— Abschiebehaftkontaktgruppe DD (@KntktGrAHaftDD) March 9, 2020
Dass Youssef ein integraler Bestandteil der Familie ist, lies sowohl das Dresdner Amtsgericht, als auch das Sächsische Oberverwaltungsgericht nicht als Argument gelten. Es seien nicht seine leiblichen Kinder, so die Argumentation. Die Trennung von der Ehefrau sei zuzumuten, schlussfolgerten die Gerichte nach Berichten der Kontaktgruppe Abschiebehaft. Dabei seien Youssef und Nanette bereit gewesen, gemeinsam nach Marokko auszureisen, um dort das Visumverfahren für den familiären Aufenthalt in die Wege zuleiten. Flugtickets hatten sie bereits für März gebucht und diese auch dem Amtsgericht vorgelegt.
Youssef habe zudem sogar das Angebot gemacht, dass er sich bis zur Ausreise täglich in der lokalen Polizeistation melden würde: Ohne Erfolg! Toni Kreische von der Abschiebhaft Kontakgruppe zeigte sich entsetzt über das Vorgehen der Behörden: „Wenn mildere Mittel zur Verfügung stehen, müssen die immer Vorrang haben vor einer Abschiebehaft, die einen krassen Eingriff in die Grundrechte eines Menschen darstellt.“
Nicht nur die Trennung stellt die Familie vor unlösbare Aufgaben. Auch die mit der Abschiebung einhergehenden Folgen werden sie noch länger begleiten. So könnte Youssef mit einer so genannten Einreisesperre belegt werden. Darüber hinaus hat er die hohen Kosten für die drohende Abschiebung und die vorangegangen Abschiebehaft zu tragen. Bisher ist nicht abzusehen, wann sich die beiden Eheleute außerhalb des Abschiebegewahrsams wiedersehen werden.
Mit den Fällen Houssam und Youssef F. zeigt der Freistaat Sachsen innerhalb kürzester Zeit sein unmenschliches Gesicht, welches Menschen entrechtet und in eine ungewisse Zukunft schickt. Es drängt sich der Gedanke auf, dass in beiden Fällen Familien zerrissen und humanistische Grundwerte dem Druck von Rechtsaußen geopfert werden. Das Ergebnis sind Fälle von Menschen die abgeschoben werden, um auf der einen Seite Quoten zu erfüllen und andererseits den rechten Mob zufrieden zu stellen.
Mit einer Aktion vor der Vonovia-Geschäftsstelle an der Pfotenhauer Straße hat am Dienstag das Dresdner „Mietenwahnsinn stoppen!„-Bündnis auf den bevorstehenden europaweiten „Housing Action Day“ am 28. März 2020 aufmerksam gemacht. Unzufriedene Vonovia-Mieter:innen besetzten zusammen mit Aktivist:innen der „Recht auf Stadt“-Gruppe den Eingangsbereich der Vonovia-Regionalleitung und blockierten den Zugang. Vonovia ist in Dresden der größte private Einzelvermieter und besitzt mehr als 35.000 Wohnungen. Die Mieter:innen kritisierten in mehreren Redebeiträgen, dass es für Beschwerden oder Anliegen keine konkreten Ansprechpartner:innen vor Ort gibt und Menschen anstatt Unterstützung zu bekommen, immer wieder in langen Warteschlagen von Callcentern landen. Bereits in der Nacht hatten Unbekannte auf andere Weise auf das Mietenproblem aufmerksam gemacht. Bei sieben Unternehmen in Dresden seien nach Polizeiangaben die Schlösser verklebt und die Mitarbeiter:innen in eine unfreiwillige Zwangspause geschickt wurden.
Aber nicht nur der Kundenservice steht im Fokus der Mietaktivist:innen. Felix Wiegand vom bundesweiten Aktionsbündnis gegen Verdrängung und Mietenwahnsinn erklärt: „Unsere Aktionen richten sich gegen den Ausverkauf unserer Städte an Investoren und gegen die skandalöse Geschäftspraxis großer Wohnungsunternehmen wie Vonovia, Deutsche Wohnen oder Akelius. Die letzte Woche veröffentlichten Geschäftszahlen der Vonovia haben erneut gezeigt, dass solche Konzerne auf dem Rücken der Mieterinnen und Mieter Milliardenprofite erwirtschaften. Diese fließen dann in die Taschen von Aktionären, Anteilseignern und Vermögensverwaltern wie Blackrock. Damit muss endlich Schluss sein!“ Die Vonovia hatte kürzlich ihre Geschäftszahlen des vergangenen Jahres vorgestellt und 850 Millionen Euro allein an Aktiendividende ausgeschüttet.
Mieter*innen aus #Dresden blockieren aktuell den Eingang der Regionalleitung von #Vonovia.
Die Aktion in Dresden war eine von vielen bundesweiten Aktionen. Unter dem Motto „Enteignung ist die halbe Miete! Vonovia, Deutsche Wohnen, Akelius und Co. raus aus unseren Städten!“ gab es unter anderem in Berlin, Frankfurt/Main, Göttingen, Hannover, Stuttgart und Tübingen gleichzeitig stattfindende Mobilisierungsaktionen an den Büros großer Wohnungsunternehmen und Investoren. Es wurden Enteignungsurkunden verliehen und die Initiativen nutzten den Tag, um mit einer Vielzahl betroffener Mieter:innen ins Gespräch zu kommen.
Die heutige Aktion, so das Dresdner Bündnis, läute die heiße Vorbereitungphase für die Aktionswoche vom 22. bis zum 28. März ein. Geplant sind Veranstaltungen zu Genossenschaftsmodellen, Mietrecht und Wohnungslosigkeit. Höhepunkt ist die große Mietenkundgebung unter dem Motto „Wohnen für Menschen und nicht für Profite“. Diese startet am 28. März um 14 Uhr an der Lingnerallee.Das Dresdner Bündnis ist seit seiner Gründung im letzten Jahr deutlich gewachsen. In diesem Jahr beteiligen sich neben den „Recht auf Stadt“-Gruppen, Nachbarschafts- und Mieter:inneninitiativen, dem DGB Sachsen auch der Mieterverein Dresden und Umgebung.
Im Aufnahmelager Moria auf der zu Griechenland gehörenden Insel Lesbos hat es am Vortag gebrannt. Dabei ist mindestens ein Mensch getötet worden. Wir haben mit Aktivist:innen der URA Dresden gesprochen, die sich gerade vor Ort befinden, um einen Eindruck über die Situation in und um das Lager, die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevölkerung und notwendige nächste politische Konsequenzen zu bekommen.
Ihr seid gerade auf Lesbos:Seit wann seid ihr dort und was sind die Gründe?
Wir sind eine kleine Delegation von Antifaschist:innen. Uns haben die letzten Katastrophen an der EU-Außengrenze zur Türkei nicht kalt gelassen. Die Erpressungsversuche Erdoğans und die Abschottungspolitik der EU entmenschlichen Schutzsuchende und machen sie zum Spielball einer Politik, welche nur noch mehr Krieg, Chaos und weitere Fluchtbewegungen hervorrufen wird.
Insbesondere zu Lesbos war die Berichterstattung über die letzten fünf Jahre eher dürftig. Rückblickend hat sich weder die Lage in Moria, noch auf den anderen Inseln grundlegend gebessert. Politisch fehlt der Wille – und das nicht nur bei der griechischen Regierung, sondern auch in den reichen Ländern Europas. Selbst der Beschluss von sieben EU-Staaten 1.600 Kinder aufzunehmen, hört sich an wie ein schlechter Witz und ist bisher nicht mehr als heiße Luft.
Nach den Angriffen durch lokale Faschist:innen und Teilen der Dorfbewohner:innen sind natürlich auch viele Journalist:innen wieder verschwunden. Corona macht die Informationslage noch prekärer, also sind wir genau zur richtigen Zeit am richtigen Ort.
Nicht zuletzt muss man auch betonen, dass wir einen Austausch mit lokalen antifaschistischen Strukturen vorantreiben wollen. Wie reagiert die lokale Bewegung in solchen Ausnahmesituationen. Uns ist ja eine ähnliche Situation in Deutschland auch bekannt. Wir haben die Ereignisse von Heidenau noch gut in Erinnerung.
Derzeit scheint die Corona-Krise alles zu überlagern. Die Situation im türkisch-griechischen Grenzgebiet ist kaum noch präsent. Wie ist die Situation vor Ort?
Natürlich spielt Corona auch hier eine große Rolle. Auch wenn es bisher nur einen bestätigten Fall auf der Insel Lesbos gibt, ist es in Zeiten der Pandemieberichterstattung schwer, etwas über die aktuelle Situation im Lager aus Zeitungen und Timelines mitzubekommen. Aber das Camp und die Situation in Moria spielen zumindest lokal eine Rolle und ab und an schafft es auch noch ein Artikel in die deutschsprachige Medienlandschaft. Generell gibt es eine große Angst vor dem Corona-Ausbruch im Camp. Dabei ist eher die Gefahr, dass die Seuche von Außen in das Lager eingeschleppt wird und weniger, dass die Menschen die dort sind, diese Krankheit mitgebracht haben, wie es von Rassist:innen gern behauptet wird.
Es gab ja bereits in der letzten Woche einen Appell von Ärzte ohne Grenzen endlich etwas zu unternehmen, um die katastrophalen hygienischen und medizinischen Verhältnisse zu verbessern. Das Abwasser zum Beispiel wird im so genannten Dschungel provisorisch über kleine handgegrabene Kanäle quer durch das ganze Camp abgeleitet.
Weiterhin gibt es keine Isolationsmöglichkeiten, keine spezielle Behandlung von Hochrisikopatient:innen und auch keine Testmöglichkeiten. Auf schätzungsweise 20.000 bis 28.000 Lagerinsass:inen kommen nur eine handvoll Ärzt:innen. Vieles an Grundversorgung wird derzeit durch Freiwillige und NGOs gewährleistet.
Wobei Ärzte ohne Grenzen sich zum Beispiel aus politischen Gründen aus dem Inneren des Camps zurückgezogen hat und nun außerhalb des Lagers ihre Versorgung bereitstellt. SOS-Kinderdorf hat aufgrund der Drangsalierungen durch griechischen Behörden seine Arbeit inzwischen eingestellt. Auch die Grasroots-Strukturen, wie die No Border Kitchen, fragen sich, was nun zu tun sei. Die Situation kann sich von Tag zu Tag ändern.
Gestern erreichten uns die Meldungen von einem Feuer im Lager Moria, bei dem auch nach aktuellen Informationen mindestens ein Kind gestorben sein soll. Vor welchen Aufgaben steht das Lager nach dem Brand?
Ja, es gab einen Großbrand und wir waren auch vor Ort. Zu dem Zeitpunkt war das Feuer dann endlich auch gelöscht. Die Cops haben versucht, die Zugänge zum inneren Bereich des Lagers abzuriegeln, es wurde von Verhaftungen von Journalist:innen berichtet und tatsächlich konnten wir im Innenbereich keine Journalist:innen sehen. Wir haben mit Bewohner:innen des Camps gesprochen. Sie sagten uns, dass die Lagerverwaltung und die Polizei viel zu spät reagiert und das Feuer wohl bis zu zwei Stunden gebrannt hätte. Es gibt mindestens ein totes Kind und Campbewohner:innen reden von einem weiteren. Wir wissen es jedoch nicht genau, da gestern kurzzeitig auch die Rede von fünf Toten war.
Wenn ihr fragt, was nun zu tun sei: Nun, man könnte Rettungswege bauen und Wasseranschlüsse legen und die Wände schön rosarot streichen, aber das bringt alles nichts. Allein die infrastruktuellen Aufgaben vor dem das Lager stehen würde, sind schlichtweg nicht zu bewältigen, zumal es die gleichen Probleme wie vor dem Brand sind.
Wir glauben eure Frage muss man auf einer politischen Ebene beantworten: Die Existenz dieses Lagers ist menschenverachtend und es ist illusorisch, dass für 23.000 Leute auf so engem Raum und auf dieser Insel etwas geändert werden kann. Die Idee der Lager an sich ist menschenverachtend und immer mit der Politik der Aussortierung und Abschottung verknüpft.
Der Alltag für die Menschen dort ist die Hölle, gekennzeichnet von Elend, Mangel und massiver Gewalt durch die Polizei und in der Nacht oft auch untereinander. Wir sagen, das Lager muss aufgelöst und die Leute in Europa verteilt werden, die reichen EU-Staaten sollen die Menschen aufnehmen. In unseren Augen führt kein Weg an einer vollständigen Evakuierung vorbei.
Immer wieder erreichen uns auch Informationen von Übergriffen durch Nazis auf Geflüchtete, deren Einrichtungen, Journalist:innen und NGOs. Wie stellt sich für Euch die Situation vor Ort dar?
Die Situation ist sehr schwer einschätzbar, da die Informationslage schwierig ist. Aktivist:innen vor Ort haben begonnen eine Chronologie von Übergriffen zu erstellen, allerdings bleiben viele Angriffe auf Geflüchtete oft unbemerkt.
Wir wissen, dass es seit Oktober 2019 gehäuft Aktionen von organisierten rechten Gruppen gibt. Sehr regelmäßig gibt es Straßenblockaden und Patroullien. Damit wurde mindestens einmal der Nahrungstransport ins Camp abgeriegelt. Und oft wird damit versucht, Journalist:innen und NGO-Mitarbeiter:innen davon abzuhalten, ins Lager zu kommen.
Wir haben aber auch von physischen Angriffen und Sachbeschädigungen durch Faschist:innen gehört. So ist es sehr wahrscheinlich, dass der Brand des nichtstaatlichen Schul- und Versorgungszentrums „One Happy Family“ von diesen Leuten gelegt wurde. Zu Beobachten ist außerdem, dass es kein Einschreiten der Sicherheitskräfte gibt. Vielmehr, so berichtet es sogar die Lokalpresse, beteiligen sie sich ebenso wie lokale Politiker:innen unmittelbar an den Aktionen gegen das Camp.
Auch auf Lesbos scheint der Rechtsruck mittlerweile das ans Tageslicht zu holen, was schon lange in der Gesellschaft an Einstellungen vorhanden war. Auch in den Parlamenten macht sich das bemerkbar: Mit den „Freien Bürgern“ (Eleftheri Politis) sitzt eine explizit rassistische Partei in den Dorfparlamamenten und hat zwölf Sitze in den Regionalparlamenten der südlichen Ägäis bekommen.
Subjektiv war es für uns bisher so, dass wir Anfeindungen zwar gespürt haben, gerade nach den beiden antifaschistischen Demonstrationen vom 14. März. Dennoch würden wir uns in manchen Teilen Sachsens unwohler fühlen, als hier in den Abendstunden durch die Straßen zu laufen.
Gibt es Möglichkeiten für antifaschistische Gegenaktivitäten?
Sicher, die gibt es immer und überall! Bisher hat hier zum Beispiel Recherchearbeit gut funktioniert. Gerade was angereiste Faschos aus dem Ausland betrifft, konnte diesen etwas entgegengesetzt werden, wie am Beispiel der deutschen IBler oder dem irischen Faschisten Grand Torino zu sehen war. Das führte dazu, dass sich diese Leute nun nicht mehr so leichtfertig in die Öffentlichkeit trauen und schreckt hoffentlich andere davon ab, hierher zu kommen. Deswegen ist das auch ein wichtiges Aufgabenfeld antifaschistischer Arbeit, die auch prima unterstützt werden kann, ohne hier zu sein.
Ansonsten gibt es natürlich auch hier die üblichen Aktivitäten wie Graffitis im Stadtbild und antifaschistische Demonstrationen. Ein Problem der lokalen Antifa-Bewegung kennen wir jedoch auch von zu Hause. Gerade in den ländlichen Gegenden, aber auch hier in der Inselhauptstadt, werden die meist jungen Aktivist:innen nicht als Locals betrachtet. Familiäre Bande spielt nachwievor eine sehr starke Rolle in der Provinz. Da geht es dann auch schnell gar nicht mehr um eine politische Haltung, sondern um persönliche Konflikte. Hinzu kommt, dass viele der Dorfbewohner bewaffnet sind und diese Waffen auch nutzen würden, wie bei den jüngsten Aufständen gegen die neu geplanten geschlossenen Lager beobachtet werden konnte.
Auch von geflüchteten Menschen haben wir gehört, dass sie sich gegenseitig schützen und das natürlich ein Thema bei ihnen ist. Selbst der Begriff Antifa ist vielen bekannt und durchaus positiv besetzt. Daher ist es schade, dass wir bisher keinen organisierten gemeinsamen Kampf von Refugees und Antifas beobachten konnten.
Generell wird es leider schwer für die lokale Antifaszene, den politischen Diskurs auf der Insel wieder umzukehren, da die Rechten mit ihren Blockaden und ihrer Anti-NGO Haltung gesellschaftlich anerkannte Aktionsformen gefunden haben und die Antifas jetzt eine Antwort darauf finden müssen, ohne in der Defensive stecken zu bleiben.
Wie stellt sich die Zusammenarbeit mit NGOs und den Bewohner:innen der Insel dar?
Einige unserer lokalen Kontakte arbeiten in den NGOs. Das Verhältnis ist generell gespalten. Es gibt Einwohner:innen die sagen, dass die NGO nichts an der Lage verbessern würden. Es klingt für uns nach dem Vorwurf der Elendsverwaltung. Natürlich sind viele Leute auf der Insel frustriert und fühlen sich allein gelassen. Man muss die ganze Situation ja auch immer vor dem Hintergrund eines jahrelangen deutsch-europäischen Spardiktates betrachten. Das ist aber alles keine Entschuldigung für rassistische Übergriffe. Und auch nicht dafür, NGO Mitarbeiter:innen zum Ziel von Gewalt zu erklären.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch eine emanzipatorische Kritik an NGOs. Aber diese gestaltet sich sehr konstruktiv. Zum Einen gibt es interne Vernetzung von NGO-Arbeiter:innen, wo es beispielsweise um Arbeitsbedingungen innerhalb der NGO ging. Die Arbeitsverhältnisse können auch hart ausbeuterisch sein, befristete Arbeitsverträge, schlechtere Löhne für Griech:innen im Vergleich zu Zentraleuropäer:innen. Diese Vernetzung ist aufgrund der aktuelle Ereignisse etwas eingeschlafen. Aber die Leute sind nun auf anderen Ebenen, zum Beispiel bei der Organisierung von Demonstrationen, aktiv. Andererseits gibt es vor Ort auch zahlreiche Solidaritätsprojekte, die nicht zwangsläufig einen NGO-Charakter haben müssen. Dazwischen liegen dann aber auch oft Mischformen. Auf lange Sicht kommt man jedoch unserer Ansicht nach nicht umhin, gemeinsam zu kämpfen.
Bei alle den beschissenen Dingen, die die lokalen Leute hier durchmachen müssen, muss man jedoch sehr genau hinschauen, ob der Tourismus wirklich eingebrochen ist und ob es wirklich an den Geflüchteten liegt, dass dies so ist. Wir haben gestern dazu Zahlen bekommen, die wir uns erstmal anschauen müssen, wenn wir hier überhaupt mal eine ruhige Minute finden.
Es gibt ja auch eine Art NGO-Business von dem viele Menschen auf der Insel profitieren. Taxis werden mehr genutzt, Hotelzimmer für NGOs vermietet, Shops machen bessere Umsätze oder haben ihr Sortiment hin zu einer billigeren Preisklasse umstrukturiert, um die Nachfrage der Geflüchteten zu decken. Wir müssen da noch viel mit Leuten reden, um wirklich fundierte Aussagen treffen zu können. Wichtig für uns ist es, die ganzen Aussagen zu entmystifizieren und an belastbare Fakten zu kommen.
Es ist nicht allen Aktivist:innen möglich, selbst praktische Unterstützungsleistung vor Ort zu tätigen. Was ist eurer Meinung nach eine sinnvolle Hilfe für die Menschen auf Lesbos, die wir auch von hier in Dresden aus leisten können?
Das sinnvollste ist, wenn Menschen sich in den reichen Ländern Europas organisieren würden und massiven Druck auf diese Staaten ausüben, endlich Schutzsuchende aus den Lagern aufzunehmen. Das wird nicht ganz einfach, denn darunter sind kaum Menschen, die nicht Traumata und gesundheitliche Schäden davongetragen haben. Aber jede Person die noch meint, dass die europäische Idee der Menschenrechte mehr als eine hohle Phrase ist, sollte jetzt entschlossen handeln.
Corona macht es jetzt natürlich nicht einfacher, aber es kann eine Chance sein, auf die Dringlichkeit einer Evakuierung zu verweisen. Wichtig ist, dass sich nicht nur Szenelinke oder eine antirassistische Szene mobilisiert, sondern breite Teile der Gesellschaft. Die Menschen in diesem Lager halten unserer Meinung nach die Menschenwürde und elementare Menschen- und Grundrechte gegen Europa hoch. Wir sollten uns ein Beispiel daran nehmen. Denn neben den schrecklichen Dingen, die in einem solchen Lager passieren, immerhin ist es eine Zwangssituation in der die Menschen stecken, gibt es auch massive Solidarität, Offenheit und Freundlichkeit. Uns haben Leute aus dem Camp immer offen und freundlich empfangen und zum Beispiel geholfen, Polizeisperren zu umgehen, damit berichtet werden kann und wir Augenzeug:inen sein können.
Aber auch für die, die nur spenden wollen: Wir werden versuchen, in den nächsten Tagen unterstützenswerte Projekte zu finden. Aber nochmal: Die westliche Linke muss endlich wieder lernen zu kämpfen, breitere Bevölkerungsteile anzusprechen und dadurch Druck aufzubauen. Es gibt ja schon größere Bündnisse wie das Seebrücke-Bündnis oder #unteilbar. Da muss nun endlich etwas passieren. Wir glauben das bringt mehr als eine Soliparty im örtlichen AZ für ein Schulprojekt hier. Denn nur dieser Druck kann auch etwas an der politischen Situation ändern.
Man muss sich immer wieder vor Augen halten, dass Zustände wie in Moria auf europäischem Boden und nicht in einem Bürgerkriegsland stattfinden. Menschen, die daran nichts ändern wollen, machen sich an jedem Toten, an jedem Opfer einer Vergewaltigung und von Gewalt in diesem Lager mitschuldig. In Moria sind allein 8.000 Kinder und Jugendliche, deren Zukunft durch die aktuelle Politik systematisch zerstört wird.
Könnt ihr abschätzen, wie sich die nächsten Monate vor Ort entwickeln werden, welche Gefahren seht ihr? Gibt es eventuell auch Chancen, die sich aus der Situation entwickeln können?
Das ist eine schwierige Frage. Wir haben da noch zu wenig Einblick in die lokalen Gegebenheiten. Der Brand hat gezeigt, dass sich immer auch spontan etwas ändern oder zuspitzen kann. Wichtig ist, dass die lokalen antifaschistischen Strukturen Antworten auf Aktionen organisierter Nazis finden. Die Zeit eines Kräftegleichgewichtes scheint erstmal vorbei und so muss es auch pro-aktive Ansätze seiten der Antifaschist:innen geben. Allerdings wollen wir uns nicht zu weit aus dem Fenster lehnen und noch mehr mit unseren Leuten vor Ort sprechen, um die Gegebenheiten besser verstehen zu können.
Wir bedanken uns bei euch für das Interview und die Einblicke in die Situation vor Ort!
Während die Corona-Pandemie endgültig das öffentliche Leben in Deutschland bestimmt, verschlechtert sich die Situation von Geflüchteten an den EU-Außengrenzen und in den griechischen Lagern von Tag zu Tag. Besonders angespannt ist die Situation im Camp Moria auf der griechischen Insel Lesbos. In der Hoffnung das europäische Festland zu erreichen, harren dort zehntausende Menschen aus. Ein Bündnis aus zivilgesellschaftlichen Gruppen aus Sachsen geht nun mit einem Aufruf an die Öffentlichkeit, welche die Evakuierung der Lager fordert.
Die wenigen Berichte, die hierzulande von der menschenunwürdigen Situation in den griechischen Lagern ankommen, hören sich apokalyptisch an. Die Menschen sind auf engstem Raum in unhygienischen Zuständen mit kaum gesundheitlicher Versorgung zusammengepfercht. Ein Feuer, das gestern im Lager Moria ausbrach, forderte mindestens zwei Menschenleben und stellt die Spitze der seit Jahren unmenschlichen Situation auf der Insel dar. Die ersten Meldungen von Corona infizierten Personen könnte die Situation noch einmal erheblich verschärfen und zu einer humanitären Katastrophe ungeahnten Ausmaßes führen. Im Gegensatz zu 2015 verschließen jedoch Europäische Union und Bundesregierung die Augen vor dem Leid der tausender Geflüchteter und setzen auf rigorose Abschottung.
EIL: Im Camp #Moria auf #Lesbos ist ein großes Feuer ausgebrochen. Während alle anderen sich wegen #COVIDー19 voneinander fernhalten sollen, müssen hier 25000 Menschen in einem Camp für 3000 leben. Schrecklich, mehr Infos folgen. pic.twitter.com/M0cJRf7KR7
Nicht nur in Hinblick auf die ersten Corona Infizierungen im Lager Moria drängt Julia Hartmann vom Sächsischen Flüchtlingsrat auf schnelles Handeln: „Bereits vor dem Ausbruch von Corona wie auch dem gestrigen Brand in Moria war die Lage auf allen Inseln jenseits humanitärer Standards. Die Evakuierung muss jetzt erfolgen!“ Dafür sollen alle Möglichkeiten des Aufenthaltsgesetzes ausgenutzt werden, so Julia Hartmann weiter. Die Zusicherung der Sächsischen Landesregierung, bis zu 20 Kinder aufzunehmen, sei aus Perspektive der Geschäftsleitung des Flüchtlingsrates „nicht genug“.
Ahmad Muhebbi vom Dresdner Verein Afghanistan kritisiert vor allem die Aussetzung des Asylrechtes in Griechenland. Dies wäre ein No-Go. „Menschenrechte müssen gerade in Notzeiten gelten.“, so Muhebbi. In Anbetracht der Tatsache, dass der EU-Türkei Deal am heutigen Tag vier Jahre alt werde, erinnert Muhebbi an die kritischen Stimmen zu dem Deal: „Es wurde vor diesem Deal gewarnt, da war er noch gar nicht abgeschlossen. Jetzt zeigt sich, dass die Warnungen nur allzu berechtigt waren.“
Ob die Landesregierung jedoch auf die Forderungen der Kampagne eingehen wird, ist fraglich. Unlängst wurde Sachsens Ministerpräsident Kretschmer mit den Worten: „Unser Herz ist groß ,aber unsere Möglichkeiten sind begrenzt“ zitiert. Dem widersprach Manfred Richter vom Paritätischen Wohlfahrtsverband: „Der Freistaat Sachsen hat seit 2015 erfolgreich ein vielfältiges und stabiles Netz zur Versorgung geflüchteter Menschen aufgebaut. Wir fordern die Sächsische Staatsregierung auf, hier zügig zu agieren.“ Johannes Richter vom Kulturbüro Sachsen sieht hierfür auch die sächsische Zivilgesellschaft gut aufgestellt: „In unserer täglichen Arbeit erleben wir, dass in den letzten fünf Jahren in Sachsen ein breites Unterstützer:innennetzwerk für Geflüchtete entstanden ist, dessen volles Potenzial jetzt aktiviert werden könnte, wenn die Geflüchteten endlich aus den Lagern evakuiert werden.“
#WirHabenPlatz! Wir wissen, dass in den letzten fünf Jahren in Sachsen ein breites Unterstützer*innennetzwerk für Geflüchtete entstanden ist, dessen volles Potenzial jetzt aktiviert werden könnte, wenn die Geflüchteten endlich aus den Lagern evakuiert werden. @sfr_evpic.twitter.com/SjnCaEkr07
Emiliano Chaimite vom Dachverband Sächsischer Migrantenorganisation fordert eine konsequente Umsetzung des Rechtsstaates: „Die, die Anspruch auf Familiennachzug haben, müssten sowieso schon lange hier sein. Sie jetzt unbürokratisch aus Griechenland zu holen, ist mit eines der wichtigsten Gebote der Stunde.“ Ein Rechtsgutachten der Universität Hamburg stützt dabei die Forderung, das Aufenthaltsrecht anzuwenden. Die Forscher:innen legen dar, dass ein Landesaufnahmeprogramm auch ohne eine aktive Zustimmung des Bundesinnenministerium (BMI) gestartet werden könnte. Der Bund habe lediglich dafür zu sorgen, dass sich verschiedene Programme nicht all zu sehr voneinander unterscheiden.
Die Erklärung endet mit dem Aufruf, einen Brief oder per Mail an das Bundesinnenministerium, die sächsischen Minister:innen für Inneres (Roland Wöller), Soziales und Gesellschaftlichen Zusammenhalt (Petra Köpping) sowie für Justiz, Demokratie, Europa und Gleichstellung (Katja Meier) sowie an den Ministerpräsidenten Michael Kretschmer zu schreiben, um so den politischen Druck zu erhöhen. Außerdem verweist der Sächsische Flüchtlingsrat auf eine Petition, welche Sachsen auffordert, zunächst 100 Menschen aus Griechenland aufzunehmen. In Zeiten von physical/social distancing oder gar Quarantäne, ist diese Form des Aktivismus besonders geeignet.
Die Verbreitung des neuartigen Corona-Virus ist nur noch schwer einzudämmen. Wichtig bleibt jedoch die Infektionszeit so weit zu strecken, dass das Gesundheitssystem nicht überlastet wird. Die Schließung von Schulen, Kindertagesstätten und Geschäften mit nicht lebensnotwendigen Gütern waren bisher die sichtbarsten staatlichen Einschränkungen zum „flatting the curve“, also um eine Verbreitung des Virus zu verlangsamen. Einher gehen diese Schritte mit dem Appell, physische Kontakte auf ein Minimum zu reduzieren. „Seien Sie wachsam, seien Sie solidarisch, seien Sie mutig und achten Sie aufeinander. Es geht um unsere geliebten Angehörigen“, so Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) am Donnerstag in einer Fernsehansprache. Sollten diese Maßnahmen in den kommenden 14 Tagen keine Wirkung zeigen, müsse über Ausgangssperren als letztes Mittel diskutiert werden, so Kretschmer. In einigen Bereichen handelt der Freistaat Sachsen und seine Organe aber völlig entgegen der offiziellen Maßnahmen und entgegen der Appelle von Bundeskanzlerin Angela Merkel nach Solidarität und Miteinander.
Eine Bestandsaufnahme!
Der Ausbruch des Corona-Virus trifft die gesamte Gesellschaft, auch Geflüchtete. Viele von ihnen leben in Lagern, Erstaufnahmeeinrichtungen oder auch kommunalen Gemeinschaftsunterkünften. Der Sächsische Flüchtlingsrat (SFR) bezeichnet das Risiko, sich dort zu infizieren, als hoch. Gemeinschaftsküchen, geteilte Sanitäranlagen, Mehrbettzimmer – das viel beschworene „social distancing“ sei dort unmöglich. Er fordert die Gesundheitsversorgung geflüchteter Menschen in Sachsen sicherzustellen. „Auf Grund der schon immer gegebenen, engen Verzahnung der Gesundheit Geflüchteter mit der Unterbringung bedeutet das: die Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte müssen schnellstmöglich aufgelöst werden.“ so Mark Gärtner vom SFR. Umsetzbar sollte dies sein. Hotels und Hostels dürften leerstehen. Fatal wäre es, wenn eine Aufnahmeeinrichtung oder eine Gemeinschaftsunterkunft unter Quarantäne gestellt wird.
Im thüringischen Suhl ist das bereits am Wochenende unter dem Einsatz von polizeilichen Spezialkräften geschehen . „Eine Isolation von etwa 500 Menschen auf einen Schlag kann auch in Dresden, Leipzig, Chemnitz drohen.“ meint Gärtner. „Sammelunterkünfte waren schon immer eine menschenunwürdige Idee. Nun zeigt sich: sie sind eine katastrophale Idee!“ Seit Sonntag wartet der Verein auf eine Antwort vom Sächsischen Innenministerium (SMI), welche Maßnahmen in den Sammelunterkünften ergriffen werden. Der SFR hat unterdessen einen Forderungskatalog veröffentlicht, welcher Schritte für eine Gesundheitsversorgung im Sinne des #flattenthecurve für besonders marginalisierte Gruppen aufzeigt.
Dieser beinhaltet, eine Betreuung im Infektionsfall und umfassende Information für alle Menschen. Dazu hat der Flüchtlingrat bereits selbst einen ersten Schritt gemacht und auf seiner Website mehrsprachige Hinweise zum Corona-Virus zur Verfügung gestellt. Auf den offiziellen Seiten des Freistaates befinden sich tatsächlich bis jetzt keinerlei mehrsprachige Informationen zu Corona, der Pandemie und den eingeleiteten staatlichen Maßnahmen. Desweiteren verlangt der SFR Zugang für ehrenamtliche Helfer:innen sowie das Absagen aller Termine beim BAMF Ausländerbehörden und Ämtern. Die Fristen für BAMF-Bescheide, welche teilweise nur zwei Wochen Klagefrist haben, sollten nach Ansicht des SFR ausgesetzt werden.
Damit einher müsse eine unbürokratische Verlängerung von Aufenthaltspapieren gehen. Social/physical distancing würde auch eine Entzerrung der Belegung in Unterkünften bringen und die Bewohner:innen damit zusätzlich entlasten. Angesichts der globalen Auswirkungen der Corona-Pandemie fordert der SFR außerdem alle Abschiebungen zu stoppen und die Abschiebehaft zu beenden. Zwar sind Abschiebungen durch inzwischen erfolgten Grenzschließungen kaum noch möglich, dennoch bleibt das Abschiebegefängnis auf der Hamburger Straße erhalten „Abschiebehaft ist unzulässig, wenn die Abschiebung nicht sicher durchgeführt werden kann!“ kritisiert Toni Kreische von der Abschiebehaftkontaktgruppe.
Der Freistaat führt aktuell auch mit Regierungsbeteiligung der Grünen seinen restriktiven Kurs in dieser Hinsicht fort. Noch am 18. März sollten drei Personen aus der Abschiebehaft in Dresden nach Tunesien abgeschoben werden. Die Gruppe fordert indes alle verbliebenen Inhaftierten zu entlassen und die Anstalt zu schließen. Einzelne Entlassungen konnte die Gruppe bereits vor dem Amtsgericht erwirken. So wurde u. A. Youssef F. unter strengen Meldeauflagen aus der Haft entlassen. Mit der verlängerten Inhaftnahme eines Menschen russischer Staatsbürgerschaft in der Abschiebehaftanstalt Dresden bis Mitte Mai scheint jedoch klar zu sein: die sächsische Linie zielt ungeachtet der schwierigen Gesamtsituation derzeit weiter auf Isolation.
So, gestern noch 9, jetzt sind noch 4 drin
1 Mensch marokk Staatsbürgerschaft gestern durch uns am Amtsgericht rausgehauen
1 zweiter marokk Sb direkt danach entlassen
3 tunes Sb sollten ab #Leipzig abgeschoben werden, das abgebrochen (verifiziert)
— Abschiebehaftkontaktgruppe DD (@KntktGrAHaftDD) March 19, 2020
Diese Beschreibungen zeigen, dass die viel beschworen Solidarität häufig nicht für maginalisierte Gruppen gilt. Sollte dem Freistaat daran gelegen sein, der Krise ein solidarisches Gesicht zu geben, bedarf es weitreichende Maßnahmen, welche alle Teile der Gesellschaft betreffen und eine globale Perspektive nicht vergessen. Die Aussetzungen von Haft, Abschiebungen und der Evakuierung der menschenunwürdigen Lager auf Lesbos sowie die umfassende Hilfspacke für sozial benachteiligte Menschen, können dabei erste Schritte sein. Soforthilfen für Freischaffende und Künstler:innen , wie sie die Stadt Dresden jetzt anbietet, sind erste Ansätze.